Behauptungen:
„Apokalypse“
Wenn alles erstmal immer schlimmer wird
Ein dystopisches und apokalyptisches Weltbild ist unter vielen ProtagonistInnen der „alternativen“ Medien in verschiedenen Ausprägungen verbreitet. Gemeinsam ist ihnen, dass der Blick in die Zukunft angstvoll, düster und ohne Hoffnung ist. Trotzdem wird die Apokalypse beinah sehnsuchtsvoll erwartet als gewaltsamer Ausbruch aus dem Status Quo. Dabei gibt es viele aktuelle Abwandlungen der dystopischen Erzählung – die einen wähnen sich in einer Diktatur (zum Beispiel der „Corona-Diktatur“) oder am Rande eines Bürgerkrieges (zum Beispiel ausgelöst durch den „Großen Austausch“ oder provozierte Lebensmittelengpässe), die anderen vor dem Dritten Weltkrieg (zum Beispiel durch eine angeblich vom Westen inszenierte Konfrontation mit Russland), und wieder andere fantasieren die Auslöschung oder Umprogrammierung der Menschheit (zum Beispiel durch Covid-Impfungen oder „Transhumanismus“) usw. Oft steht hinter den apokalyptischen Erzählungen eine streng binäre Wahrnehmung der Welt, in der alle Geschehnisse nach dem simplen Muster des ewigen Kampfes der guten gegen die bösen Mächte interpretiert wird.
Fester Bestandteil der Erzählungen sind Behauptungen und Falschinformationen über angebliche undenkbare Verbrechen, so zum Beispiel in den Verschwörungserzählungen der US-amerikanischen QAnon-Bewegung, die einer dunklen Elite sadistische, pädophile und satanistische Handlungen unterstellt. Die Kolportage der Bestialität der VerschwörerInnen erzeugt eine Dringlichkeit und einen Druck zum Handeln, der die LeserInnen stark radikalisieren kann. Die Inszenierung eines ständigen Ausnahmezustandes an der Schwelle zum Kollaps oder Umsturz des Bestehenden bedeutet im Endeffekt auch, dass man sich an Regeln des dem Tode geweihten Systems nicht mehr halten muss.
Die Kehrseite der Apokalypse ist eine romantisch verklärte und regressive, teilweise völkische Vorstellung von Gesellschaft. Dafür werden positive Bezüge auf das Mittelalter oder auch die völkischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhundert hergestellt. Diese Idealisierung des angeblich Ursprünglichen kann sich zum Beispiel auch in Technik- und Wissenschaftsfeindlichkeit ausdrücken, wie sie in vielen „alternativen“ Medien oft verbreitet wird. Dort heißt es zum Beispiel, dass Smartphones und Telegramgruppen überwacht würden, durch Impfung der Mensch genetisch verändert werde, die Versorgung mit Lebensnotwendigem bald gekappt würde und man sich darum selbst versorgen müsse (wie zum Beispiel die so genannten „Prepper“). Der vielfach benutzte Begriff der Freiheit bekommt hier eine ganz neue Bedeutung, nämlich die Freiheit von modernen Errungenschaften. Das eigene Gefühl erscheint so wichtiger als wissenschaftliche Erkenntnisse, persönliche anstelle von vermittelter Herrschaft erhält einen positiven Reiz. Auch die Nähe zur Esoterik, zu Aberglauben, religiösen Sekten oder eines christlichen Fundamentalismus wie dem Aleksandar Dugins liegt hier auf der Hand.
Die kulturpessimistischen Vorstellungen von der Zuspitzung der Verhältnisse oder des permanenten Niedergangs samt eines drohenden, finalen Untergangs haben eine lange Vorgeschichte und sind für die Kritik an der Moderne typisch. Dabei unterscheidet sich, ob die ApokalyptikerInnen sich dem Untergang hoffnungsvoll entgegensehen, ihn als Rechtfertigung ihrer Systemopposition anführen oder sich als Opfer einer von anderen zu ihrer Unterdrückung herbeigeführten Apokalypse sehen.
Für die einen gilt die Verschärfung der Missstände in Anlehnung an die christliche Heilserwartung als notwendig, um das abgelehnte System zum Einsturz zu bringen und die Möglichkeit eines heilvollen Neuanfangs zu eröffnen. Im revolutionären Denken wird entsprechend versucht, die apokalyptische Zuspitzung zu befördern. Einige völkische Protagonisten (wie Götz Kubitschek oder Björn Höcke etwa) träumen von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die die Errichtung einer neuen Ordnung ermöglichen. Und auch im Marxismus muss sich die Lage der Arbeiterklasse zunächst verschlechtern, um die revolutionären Gegenkräfte zu befördern. Mit dem Leninismus wurde es notwendig, dass eine Avantgarde der Geschichte auf die Sprünge helfe und das revolutionäre Bewusstsein schärfe.
Vordenker wie der autoritär-völkische Oswald Spengler behaupteten, die europäische Kultur befinde sich im Niedergang, um die verhasste westliche Zivilisation, Demokratie und Pluralismus als Zerfallserscheinungen zu brandmarken. Spengler prophezeite den „Untergang des Abendlands“ als unweigerliches Schicksal einer Kultur, die ihren Zenit überschritten habe und zurecht von anderen, im Aufstieg befindlichen Kulturen abgelöst werde.
Verschwörungstheoretische Vorstellungen wie die vom „Great Reset“ hingegen unterstellen einer angeblich geheim agierenden Weltelite, den Untergang bewusst herbeizuführen, um eine sogenannte „Neue Weltordnung“ zu errichten. Ziel dieser „Globalisten“ sei es, ein System zu schaffen, dass ihnen die Unterdrückung und Ausbeutung der gesamten, nun willenlosen Menschheit ermögliche. In diesem Denken gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie dieser Untergang herbeigeführt werden solle: Abschaffung der schützenden Nationalstaaten durch transnationale Projekte und Entwicklungen wie die EU oder die Globalisierung, die Zerstörung kultureller Identität durch den angeblich gezielte Migration mit dem Ziel des Austauschs der Bevölkerung („Großer Austausch“), vollständige Überwachung etwa durch angebliche Abschaffung des Bargelds, Chips in Impfstoffen o.ä., der Zusammenbruch der Weltwirtschaft durch angebliche provozierte Finanzkrisen und Inflationen, die Unterdrückung der Menschen durch Energiekrisen und Blackouts usw.