Behauptungen:
„Klima-Diktatur“
„Alternativmedien“ integrieren die Energie- und Klimakrise problemlos in ihre verschwörungsideologischen, elitenfeindlichen oder apokalyptischen Weltbilder.
„Klima-Alarmismus“, „Klima-Diktatur“, „Klima-Lüge“, „Mega-Blackouts“ – in „Alternativmedien“ sind die Berichte über Klima- und Energiekrise eng verwoben und auch mit weiteren apokalyptischen Botschaften verbunden. Um die Realität der Klimakrise selbst geht es dabei kaum. „Klimapolitik“ dient wie schon die Coronakrise oder der Krieg gegen die Ukraine vielmehr als Beleg für die Behauptung, eine elitäre Gruppe nutze herbeigeredete Eskalationsszenarien, um ihre Interessen gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Der Staat, so heißt es häufig, treibe eine „linksgrüne“ Ideologisierung und Umerziehung der Menschen voran. Die Energiekrise, die massive Auswirkungen auf jede Einzelne hat, nutzen insbesondere verschwörungsideologische und rechtsextreme Kanälen für eine neuerliche Mobilisierung.
Von der Energiekrise und einem drohenden Gaslieferstopp sind alle betroffen, aber vor allem arme Menschen und Menschen mit niedrigem Einkommen. Die Unzufriedenheit und auch die Protestbereitschaft sind entsprechend groß. Kritik an und Proteste gegen Mehrbelastungen und wachsende Ungleichheit gehören zu einer Demokratie und sind legitime Formen, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Jedoch nutzen antidemokratischen AkteurInnen die wachsende Proteststimmung für ihre systemoppositionelle Agenda. Auch „Alternativmedien“, VerschwörungsideologInnen oder Rechtsextreme schließen hier an aktuelle Krisenerfahrungen an.
Erfolgreich war dieses Anknüpfen an eine milieuübergreifende Unzufriedenheit bereits während der Coronapandemie, die Auswirkungen auf das Leben aller hatte. Aus dem Querdenken-Spektrum und sympathisierenden „Alternativmedien“ wurden Ängste und Unsicherheiten geschürt und letztlich das Misstrauen gegenüber Demokratie und ihren Institutionen, der Wissenschaft, Politik oder den Qualitätsmedien befeuert. Einige „alternative Medien“ behaupten seither, die angeblich geplante oder überdramatisierte Pandemie habe dazu gedient, die Bevölkerung gefügig zu machen. Auf diese Weise, so eine verbreitete Unterstellung, ließen sich auch klimapolitische Maßnahmen leichter durchsetzen, die weit in den persönlichen Bereich hineinreichen: Lebenswandel, Ernährung, Mobilität, Wohnen. Das politische Ringen um die richtigen Wege zum Erreichen der Klimaziele wird umgedeutet in einen angeblichen Plan zur Umerziehung und Unterjochung im Sinne einer spezifischen ideologischen Agenda oder im Interesse einer politischen Elite.
Der Extremismusforscher Andreas Zick rechnet vor diesem Hintergrund für die „Querdenker“-Szene mit einer „Reorganisation, die sich im Herbst bemerkbar machen wird“. Alte Feindbilder würden durch neue ersetzt. Potenzielle Angriffsziele seien „alle, die lokal oder im Land ‚Eliten‘ darstellen“. Themen und Inhalte selbst sind dabei häufig austauschbar und schließen mithilfe verbindender Metaerzählungen aneinander an. ProtagonistInnen der „Alternativmedien“ integrieren die Energie- und Klimakrise problemlos in ihre verschwörungsideologischen, elitenfeindlichen oder apokalyptischen Weltbilder. Debatten um Versorgungssicherheit und Inflation deuten sie dabei als Bestätigung ihrer Vorstellungen. In dieser Logik wird die Klima- und Energiekrise wie schon die Pandemiemaßnahmen oder der russische Krieg gegen die Ukraine zu einer weiteren Station in einem vorgeblich geplanten Eskalationsszenario oder zu einem Ablenkungsmanöver von anderen unliebsamen politischen Maßnahmen wie Coronaeinschränkungen. Eine wiederkehrende Behauptung ist, dass der „Covid-Lockdown“ abgelöst werde vom „Klima-Lockdown“, um die Menschen in Angst zu halten und ihre Freiheit einzuschränken.
Auffällig ist, dass insbesondere der Klimawandel als solcher kaum zum Thema wird. „Klima“ diente bereits im Umfeld der Coronaproteste, aber auch bei der rassistischen „Pegida“-Bewegung als aufgeladenes Reizwort, der Klimawandel selbst wird oft als Panikmache und Alarmismus abgetan. Beim Thema „Klima“ geht es weniger um konkrete Inhalte und Argumentationen, sondern um ein austauschbares Symptom für eine unterstellte Ideologisierung durch einen angeblichen „linksgrünen“ autoritären Staat, der gegen die Interessen des Landes oder der Bevölkerung zum Beispiel eine „Deindustrialisierung“ vorantreibe oder aber die Menschen aufgrund vorgeblicher antirussischer Reflexe frieren lasse. Die Jugendbewegung Fridays For Future oder die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die die Klimapolitik der Regierungen als zu unentschlossen kritisieren, sind in „alternativen Medien“ besonders präsente Feindbilder.
Die Herabwürdigung der parlamentarischen Demokratie als „(Klima-/ Öko-)Diktatur“ ist dabei eine viel gebrauchte populistische Strategie. Diese Infragestellung der Demokratie und ihrer Grundlagen lässt Aufrufe zum „Widerstand als Pflicht“ oder gar zur Notwehr konsequent erscheinen. Der Mobilisierungspotential für einen sogenannten „Wut-Winter“ oder „heißen Herbst“ ist entsprechend groß.