Alternative Medien: „Das ist kein Journalismus, sondern Desinformation“
Der Journalist Markus Sulzbacher im Interview über „alternative Medien“ und wie sie die Demokratie gefährden.
Gegenmedien: Herr Sulzbacher, Sie beobachten die Entwicklung der Medienlandschaft im deutschsprachigen Raum und vor allem in Österreich. Wie hat sich die öffentliche Debatte und die Mediennutzung durch die sogenannten „alternativen Medien“ verändert?
Markus Sulzbacher: In Österreich ist es den sogenannten „Alternativmedien“ gelungen, eine große Anhängerschaft zu gewinnen. Sie haben Inhalte für teilweise Hunderttausende produziert. Und es macht natürlich etwas mit einer Gesellschaft, wenn dort zum Beispiel Verschwörungsgeschichten verbreitet werden. Die gelangen dann in die Mitte der Gesellschaft und viele Menschen, die sich eigentlich mit dem Blödsinn nicht beschäftigen wollen, müssen sich dann mit zig WHO-Studien zum Thema Corona auseinandersetzen, um Thesen oder Falschmeldungen zu überprüfen oder zu widerlegen. Das ist ein Beispiel.
Zum anderen bieten diese Medien rechtsextremen Parteien ein Podium. Die können wiederum diese Inhalte auf ihren Social Media-Kanälen teilen und haben so ein professionelles Angebot, das sie weiter verbreiten können.
Warum sind die „alternativen“ Medien so erfolgreich? Wieso können sie die Leute so gut ansprechen?
Weil die Inhalte „gut gemacht“ sind. Sie liefern, was die Leute gerne lesen wollen. Die „Alternativmedien“ haben sich genau angeschaut oder wissen einfach, was ihre Klientel lesen will, und liefern. Es geht immer „gegen die da oben“, gegen irgendwelche „Globalisten“, den „Great Reset“ oder gegen „die Medien“. Das ist ein bewährtes Rezept seit schon über 100 Jahren von rechtsextremen Gruppierungen in Österreich und Deutschland und das funktioniert noch immer. Und dann gibt es dieses Zuspitzen, dieses Draufhauen. Das ist das, was „Alternativmedien“ können und was sie machen.
Zum anderen bekommen in Österreich Publikationen wie der Wochenblick – wie die anderen Medien auch – staatliche Förderungen und können sich damit auch leisten, was sie machen. Und es sind auch Parteien, die die „Alternativmedien“ unterstützen und ermöglichen. Die FPÖ und teilweise auch die AfD inserieren in österreichischen Medien. Und wenn Du eine Partei im Hintergrund hast, die wirklich ordentlich Geld reinwirft, erleichtert das die Arbeit dieser Medien natürlich sehr.
Wenn Sie sagen, die „Alternativmedien“ hätten ihr Publikum gut studiert, klingt das auch nach einer Empfänglichkeit für die genannten Botschaften „gegen die da oben“ oder eine grundsätzliche Bereitschaft an „Verschwörungen“ zu glauben. Kann man eine Strategie der „alternativen Medien“ zur Radikalisierung der Leserschaft erkennen?
Eine Empfänglichkeit für rechtsextreme Inhalte, russische Propaganda, Desinformation – ja, das gibt es. Und der Ton muss immer schriller und brutaler werden. „Alternativmedien“ und ihre Protagonisten müssen ja im Gespräch bleiben und liefern. Und sie liefern mit Aufmerksamkeit.
Sind in diesem Sektor personelle oder wirtschaftliche Strukturen und Netzwerke erkennbar?
Das ist schwer zu sagen. Für Österreich kann ich sagen, dass vieles im FPÖ-Umfeld zu Hause ist. Außerdem gibt es noch die neue Impfgegnerpartei MFG – Menschen, Freiheit, Grundrechte. Ansonsten hat vieles mit der FPÖ zu tun. Stefan Magnet zum Beispiel, der Chefredakteur von Auf1, einem Online-Fernsehsender aus Oberösterreich, hat vorher für den Wochenblick gearbeitet, davor für info-direkt, ein rechtsextremes Magazin, und war im Neonazi-Milieu aktiv. Nebenbei hat er in den vergangenen Jahren für die FPÖ Marketing- und Werbeaufträge übernommen. Anhand dieses Beispiels kann man die Zusammenhänge gut beschreiben.
Warum verbreiten viele „alternative Medien“ russische Propaganda?
Im Zusammenhang mit der Annexion der Krim 2014 sind viele russische Propagandanarrative im deutschen Sprachraum aufgetaucht. Facebook hat zum Beispiel bekannt gemacht, dass es eine eigene Facebookgruppe gab, die entsprechende Inhalte für Österreicherinnen und Österreicher produzierte. Und das passierte von Russland aus. Russische Staatsmedien oder Akteure aus dem Umfeld von Putin haben ab 2013 systematisch Informationen dort hineingetragen. Die Rechtsextremen waren von den Inhalten und von dem, wofür Putin steht, begeistert, seine Feindschaft gegenüber Homosexuellen und die sogenannte Homoehe etwa. Sie haben sich mit Putin und seinem Autoritarismus beschäftigt und fanden: spannendes Gesellschaftsmodell, prügelt auch noch die Opposition weg, starker Mann. Da gibt es eine ideologische Nähe. In diesem Zeitraum war auch der russische Neurechte Alexandr Dugin sehr oft bei Kongressen und Veranstaltungen in Österreich. Dugin hat einen ähnlichen ideologischen Background wie Putin, und hat das in Österreich und Deutschland populär gemacht.
Mit Corona hat man beobachten können, dass die den „Alternativmedien“ teilweise nahestehende Protestbewegung sehr heterogen geworden ist. Da gab und gibt es viele aus dem Esoterik-Umfeld und alternative Leute. Wie passt das zusammen?
Das passt sehr gut zusammen. Es gibt von der Universität Wien eine Untersuchung, wie sich dieser Protest zusammensetzt. Mehrheitlich sind das FPÖ-Wähler und welche der impfkritischen Partei MFG natürlich, dann Leute aus dem Milieu der „Staatsverweigerer“, die in Deutschland „Reichsbürger“ heißen. Und dazu passen Esoteriker und Esoterikerinnen gut, weil auch in dieser Szene Verschwörungserzählungen und Mythen wichtig sind.
Kann man sagen, ob die Reichweite „alternativer Medien“ zu- oder abnimmt oder stagniert? Und ist das eine Bedrohung für die demokratische Kultur?
Selbstverständlich. Ein Beispiel: Auf1 arbeitet jetzt mit Compact in Deutschland zusammen bzw. ein Mitarbeiter von Compact arbeitet jetzt für Auf1 in Berlin und sie wollen das Angebot jetzt weiter nach Deutschland ausdehnen. Was die Gefahr für die Demokratie angeht: Was „Alternativmedien“ machen ist ja kein Journalismus, sondern das ist Desinformation, das Schlechtreden von seriösen Medien. Das ist Propaganda. Und das Ziel dieser Akteure ist das, was sie Systemsturz nennen. Ich würde das, was ihnen vorschwebt, ganz klar als rechte Diktatur bezeichnen.
Würden Sie sagen, dass „alternative Medien“ damit einen besorgniserregenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben?
Ja, indem sie eine extreme Reichweite haben. Viele Leserinnen und Leser der „Alternativmedien“ identifizieren sich mit diesen „Medien“. Es wird eine ganz enge Beziehung zu „ihren Medien“ aufgebaut. Ihnen ist einfach extrem wichtig, dass sie diese fragwürdigen Inhalte verbreiten.
Was kann man dagegen tun?
Für Österreich könnte sich die schwarze-grüne Regierung einmal fragen, ob man diese „Medien“ mit Steuergeldern fördern muss. Es gibt eine zivilgesellschaftliche und gesamtgesellschaftliche Verantwortung, dass man, wenn solch ein Artikel angefangen von Compact bis zum Wochenblick oder Auf1 im Familien-Chat oder beim Verein auftaucht, darauf hinweist, um was es sich handelt, dass es Blödsinn ist oder nicht der Wahrheit entspricht. Denn es ist kein Journalismus – viele Texte sind schlicht rechtsextreme oder russische Propaganda. Pass auf, was Du da teilst.
Wenn „alternative Medien“ kritisiert werden, wird als Gegenargument häufig auf die Meinungs- und Pressefreiheit verwiesen. Was halten Sie davon?
Dass es diese Freiheiten gibt, sieht man ja genau daran, dass rechtsextreme Propagandamedien in Österreich und Deutschland existieren. Ich würde sie auch nicht verbieten wollen. Aber das Ziel sollte schon sein, dass es nicht so viele Leserinnen und Leser für diese Inhalte gibt – in dem Sinne, als dass Leserinnen und Leser ein besseres Gespür dafür bekommen, was davon Falschmeldungen sind oder Desinformation.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Markus Sulzbacher, Journalist (DER STANDARD) und Buchautor (Mitautor: Fehlender Mindestabstand: Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde, Mitherausgeber: Rechtsextremismus als Herausforderung für den Journalismus). Lebt in Wien und Rom.
Interview: Christoph Becker