Alter­na­tive Medien: „Das ist kein Jour­na­lis­mus, sondern Desinformation“

Demons­tra­tion der öster­rei­chi­schen Anti­impf-Partei MFG, Dezem­ber 2021 in Wien. Foto: imago-image­s/I­sa­belle Ouvrard

Der Jour­na­list Markus Sulz­bacher im Inter­view über „alter­na­tive Medien“ und wie sie die Demo­kra­tie gefährden.

Gegen­me­dien: Herr Sulz­bacher, Sie beob­ach­ten die Ent­wick­lung der Medi­en­land­schaft im deutsch­spra­chi­gen Raum und vor allem in Öster­reich. Wie hat sich die öffent­li­che Debatte und die Medi­en­nut­zung durch die soge­nann­ten „alter­na­ti­ven Medien“ ver­än­dert?

Markus Sulz­bacher: In Öster­reich ist es den soge­nann­ten „Alter­na­tiv­me­dien“ gelun­gen, eine große Anhän­ger­schaft zu gewin­nen. Sie haben Inhalte für teil­weise Hun­dert­tau­sende pro­du­ziert. Und es macht natür­lich etwas mit einer Gesell­schaft, wenn dort zum Bei­spiel Ver­schwö­rungs­ge­schich­ten ver­brei­tet werden. Die gelan­gen dann in die Mitte der Gesell­schaft und viele Men­schen, die sich eigent­lich mit dem Blöd­sinn nicht beschäf­ti­gen wollen, müssen sich dann mit zig WHO-Studien zum Thema Corona aus­ein­an­der­set­zen, um Thesen oder Falsch­mel­dun­gen zu über­prü­fen oder zu wider­le­gen. Das ist ein Beispiel.

Zum anderen bieten diese Medien rechts­ex­tre­men Par­teien ein Podium. Die können wie­derum diese Inhalte auf ihren Social Media-Kanälen teilen und haben so ein pro­fes­sio­nel­les Angebot, das sie weiter ver­brei­ten können.

Warum sind die „alter­na­ti­ven“ Medien so erfolg­reich? Wieso können sie die Leute so gut ansprechen?

Weil die Inhalte „gut gemacht“ sind. Sie liefern, was die Leute gerne lesen wollen. Die „Alter­na­tiv­me­dien“ haben sich genau ange­schaut oder wissen einfach, was ihre Kli­en­tel lesen will, und liefern. Es geht immer „gegen die da oben“, gegen irgend­wel­che „Glo­ba­lis­ten“, den „Great Reset“ oder gegen „die Medien“. Das ist ein bewähr­tes Rezept seit schon über 100 Jahren von rechts­ex­tre­men Grup­pie­run­gen in Öster­reich und Deutsch­land und das funk­tio­niert noch immer. Und dann gibt es dieses Zuspit­zen, dieses Drauf­hauen. Das ist das, was „Alter­na­tiv­me­dien“ können und was sie machen.

Zum anderen bekom­men in Öster­reich Publi­ka­tio­nen wie der Wochen­blick – wie die anderen Medien auch – staat­li­che För­de­run­gen und können sich damit auch leisten, was sie machen. Und es sind auch Par­teien, die die „Alter­na­tiv­me­dien“ unter­stüt­zen und ermög­li­chen. Die FPÖ und teil­weise auch die AfD inse­rie­ren in öster­rei­chi­schen Medien. Und wenn Du eine Partei im Hin­ter­grund hast, die wirk­lich ordent­lich Geld rein­wirft, erleich­tert das die Arbeit dieser Medien natür­lich sehr.

Wenn Sie sagen, die „Alter­na­tiv­me­dien“ hätten ihr Publi­kum gut stu­diert, klingt das auch nach einer Emp­fäng­lich­keit für die genann­ten Bot­schaf­ten „gegen die da oben“ oder eine grund­sätz­li­che Bereit­schaft an „Ver­schwö­rungen“ zu glauben. Kann man eine Stra­te­gie der „alter­na­ti­ven Medien“ zur Radi­ka­li­sie­rung der Leser­schaft erkennen?

Eine Emp­fäng­lich­keit für rechts­ex­treme Inhalte, rus­si­sche Pro­pa­ganda, Des­in­for­ma­tion – ja, das gibt es. Und der Ton muss immer schril­ler und bru­ta­ler werden. „Alter­na­tiv­me­dien“ und ihre Prot­ago­nis­ten müssen ja im Gespräch bleiben und liefern. Und sie liefern mit Aufmerksamkeit.

Sind in diesem Sektor per­so­nelle oder wirt­schaft­li­che Struk­tu­ren und Netz­werke erkennbar?

Das ist schwer zu sagen. Für Öster­reich kann ich sagen, dass vieles im FPÖ-Umfeld zu Hause ist. Außer­dem gibt es noch die neue Impf­geg­ner­par­tei MFG – Men­schen, Frei­heit, Grund­rechte. Ansons­ten hat vieles mit der FPÖ zu tun. Stefan Magnet zum Bei­spiel, der Chef­re­dak­teur von Auf1, einem Online-Fern­­seh­­sen­­der aus Ober­ös­ter­reich, hat vorher für den Wochen­blick gear­bei­tet, davor für info-direkt, ein rechts­ex­tre­mes Magazin, und war im Neonazi-Milieu aktiv. Neben­bei hat er in den ver­gan­ge­nen Jahren für die FPÖ Mar­ke­­ting- und Wer­be­auf­träge über­nom­men. Anhand dieses Bei­spiels kann man die Zusam­men­hänge gut beschreiben.

Warum ver­brei­ten viele „alter­na­tive Medien“ rus­si­sche Propaganda?

Im Zusam­men­hang mit der Anne­xion der Krim 2014 sind viele rus­si­sche Pro­pa­gan­da­nar­ra­tive im deut­schen Sprach­raum auf­ge­taucht. Face­book hat zum Bei­spiel bekannt gemacht, dass es eine eigene Face­book­gruppe gab, die ent­spre­chende Inhalte für Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­cher pro­du­zierte. Und das pas­sierte von Russ­land aus. Rus­si­sche Staats­me­dien oder Akteure aus dem Umfeld von Putin haben ab 2013 sys­te­ma­tisch Infor­ma­tio­nen dort hinein­ge­tra­gen. Die Rechts­ex­tre­men waren von den Inhal­ten und von dem, wofür Putin steht, begeis­tert, seine Feind­schaft gegen­über Homo­se­xu­el­len und die soge­nannte Homoehe etwa. Sie haben sich mit Putin und seinem Auto­ri­ta­ris­mus beschäf­tigt und fanden: span­nen­des Gesell­schafts­mo­dell, prügelt auch noch die Oppo­si­tion weg, starker Mann. Da gibt es eine ideo­lo­gi­sche Nähe. In diesem Zeit­raum war auch der rus­si­sche Neu­rechte Alex­andr Dugin sehr oft bei Kon­gres­sen und Ver­an­stal­tun­gen in Öster­reich. Dugin hat einen ähn­li­chen ideo­lo­gi­schen Back­ground wie Putin, und hat das in Öster­reich und Deutsch­land populär gemacht.

Mit Corona hat man beob­ach­ten können, dass die den „Alter­na­tiv­me­dien“ teil­weise nahe­ste­hende Protestbewe­gung sehr hete­ro­gen gewor­den ist. Da gab und gibt es viele aus dem Eso­­te­rik-Umfeld und alter­na­tive Leute. Wie passt das zusammen?

Das passt sehr gut zusam­men. Es gibt von der Uni­ver­si­tät Wien eine Unter­su­chung, wie sich dieser Protest zusam­men­setzt. Mehr­heit­lich sind das FPÖ-Wähler und welche der impf­kri­ti­schen Partei MFG natür­lich, dann Leute aus dem Milieu der „Staats­ver­wei­ge­rer“, die in Deutsch­land „Reichs­bür­ger“ heißen. Und dazu passen Eso­te­ri­ker und Eso­te­ri­ke­rin­nen gut, weil auch in dieser Szene Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen und Mythen wichtig sind.

Kann man sagen, ob die Reich­weite „alter­na­ti­ver Medien“ zu- oder abnimmt oder sta­gniert? Und ist das eine Bedro­hung für die demo­kra­ti­sche Kultur?

Selbst­ver­ständ­lich. Ein Bei­spiel: Auf1 arbei­tet jetzt mit Compact in Deutsch­land zusam­men bzw. ein Mit­ar­bei­ter von Compact arbei­tet jetzt für Auf1 in Berlin und sie wollen das Angebot jetzt weiter nach Deutsch­land aus­deh­nen. Was die Gefahr für die Demo­kra­tie angeht: Was „Alter­na­tiv­me­dien“ machen ist ja kein Jour­na­lis­mus, sondern das ist Des­in­for­ma­tion, das Schlecht­re­den von seriö­sen Medien. Das ist Pro­pa­ganda. Und das Ziel dieser Akteure ist das, was sie Sys­tem­sturz nennen. Ich würde das, was ihnen vor­schwebt, ganz klar als rechte Dik­ta­tur bezeichnen.

Würden Sie sagen, dass „alter­na­tive Medien“ damit einen besorg­nis­er­re­gen­den Ein­fluss auf die Gesell­schaft ausüben?

Ja, indem sie eine extreme Reich­weite haben. Viele Lese­rin­nen und Leser der „Alter­na­tiv­me­dien“ iden­ti­fi­zie­ren sich mit diesen „Medien“. Es wird eine ganz enge Bezie­hung zu „ihren Medien“ auf­ge­baut. Ihnen ist einfach extrem wichtig, dass sie diese frag­wür­di­gen Inhalte verbreiten.

Was kann man dagegen tun?

Für Öster­reich könnte sich die schwarze-grüne Regie­rung einmal fragen, ob man diese „Medien“ mit Steu­er­gel­dern fördern muss. Es gibt eine zivil­ge­sell­schaft­liche und gesamt­ge­sell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung, dass man, wenn solch ein Artikel ange­fan­gen von Compact bis zum Wochen­blick oder Auf1 im Fami­­lien-Chat oder beim Verein auf­taucht, darauf hin­weist, um was es sich handelt, dass es Blöd­sinn ist oder nicht der Wahr­heit ent­spricht. Denn es ist kein Jour­na­lis­mus – viele Texte sind schlicht rechts­ex­treme oder rus­si­sche Pro­pa­ganda. Pass auf, was Du da teilst.

Wenn „alter­na­tive Medien“ kri­ti­siert werden, wird als Gegen­ar­gu­ment häufig auf die Mei­­nungs- und Pres­se­frei­heit ver­wie­sen. Was halten Sie davon?

Dass es diese Frei­hei­ten gibt, sieht man ja genau daran, dass rechts­ex­treme Pro­pa­gan­da­me­dien in Öster­reich und Deutsch­land exis­tie­ren. Ich würde sie auch nicht ver­bie­ten wollen. Aber das Ziel sollte schon sein, dass es nicht so viele Lese­rin­nen und Leser für diese Inhalte gibt – in dem Sinne, als dass Lese­rin­nen und Leser ein bes­se­res Gespür dafür bekom­men, was davon Falsch­mel­dun­gen sind oder Desinformation.

Vielen Dank für das Gespräch.


Zur Person

Markus Sulz­bacher, Jour­na­list (DER STANDARD) und Buch­au­tor (Mit­au­tor: Feh­len­der Min­dest­ab­stand: Die Coro­na­krise und die Netz­werke der Demo­kra­tie­feinde, Mit­her­aus­ge­ber: Rechts­extre­mis­mus als Her­aus­for­de­rung für den Jour­na­lis­mus). Lebt in Wien und Rom.


Inter­view: Chris­toph Becker

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