Pro­teste: „Gefähr­lich wird es, wenn Rechts­extre­mis­mus nor­ma­li­siert wird“

Deutsch­land­fah­nen auf der Demons­tra­tion der AfD unter dem Motto „Unser Land zuerst“, 8.10.22, Berlin. Foto: Imago-Images

Der Sozio­loge Prof. Mat­thias Quent im Inter­view über die Gefahr der der­zei­ti­gen Pro­teste, die Rolle von rechten Akteu­rIn­nen und „Alter­na­tiv­me­dien“, anti­öko­lo­gi­sche Bewe­gun­gen und den „Kli­ma­ras­sis­mus“, über den er ein Buch geschrie­ben hat. Das Inter­view führte Erika Balzer.

Erika Balzer: Herr Quent, seit Wochen ver­sam­meln sich Tau­sende in ver­schie­de­nen Städten, um gegen stei­gende Ener­gie­preise zu pro­tes­tie­ren. Rechte Kräfte mobi­li­sie­ren zum „Wut­win­ter“ und rufen u.a. zum Wider­stand gegen eine „Öko­dik­ta­tur“ auf, aber auch zum Ende der Sank­tio­nen gegen Russ­land. Worauf zielen diese Pro­teste und worum geht es wirklich? 

Mat­thias Quent: Das ist gar nicht so einfach zusam­men­zu­fas­sen. Viele dieser Pro­teste werden von rechts­extre­men Akteur*innen orga­ni­siert, beglei­tet und genutzt. Gleich­zei­tig sind die For­de­run­gen auf diesen Ver­an­stal­tun­gen nicht unbe­dingt rechts­extrem. Häufig geht es um klas­si­sche Anti-Corona-Themen, liber­täre Themen wie Frieden mit Russ­land oder gegen das Mas­ken­tra­gen. Deutsch­land habe einen Wirt­schafts­krieg gegen die eigene Bevöl­ke­rung erklärt, lautet eine These. Dabei werden aber die kom­ple­xen Ursa­chen völlig ver­kannt. Auf den Demons­tra­tio­nen kommt viel zusam­men: Neben Exis­tenz­ängs­ten wird auch eine Ver­bun­den­heit und der Wunsch nach Freund­schaft mit Russ­land geäu­ßert. Diese The­ma­ti­ken über­schnei­den sich mit denen rechts­extre­mer Akteur*innen und Ideo­lo­gien, die die­sel­ben Teil­ziele ver­fol­gen und sich eben auch an Russ­land ori­en­tie­ren, also an einem auto­ri­tä­ren und faschis­to­iden Staat, der nichts von Gen­der­the­men, Kli­ma­wan­del oder einer starken Zivil­ge­sell­schaft hält und der als Vorbild ange­se­hen wird. Die auto­ri­täre Ori­en­tie­rung an einem starken männ­li­chen Führer wie Putin wird hier wichtig.

Gleich­zei­tig gibt es Demons­tra­tio­nen, die von Hand­wer­ker­innun­gen oder eher kon­ser­va­ti­ven Gruppen orga­ni­siert werden, wo extreme Inhalte nicht domi­nant sind. Aber es wird eben eine Stim­mung auf­ge­nom­men, die in Ost­deutsch­land Russ­land gegen­über zumin­dest Main­stream ist. Gefähr­lich wird es, wenn es keine Abgren­zung gibt und Rechts­extre­mis­mus nor­ma­li­siert wird. Das Ergeb­nis haben wir bei den Wahlen in Nie­der­sach­sen gesehen und sehen wir in Pro­gno­sen in den anderen Bun­des­län­dern, wo die AfD fünf Pro­zent­punkte gewin­nen konnte und das nicht, weil sie so stark ist, sondern auf­grund der gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen, die derzeit herrschen.

Sie haben Ost­deutsch­land ange­spro­chen. Am 3. Oktober waren es über 100.000 Demons­trie­rende in diesem Teil des Landes. Wieso ist die Pro­test­be­reit­schaft hier so groß?

Quent: Zum einen ist das rechte Pro­test­spek­trum dort deut­lich breiter auf­ge­stellt, das hat man bei Corona schon gesehen. Im Grunde haben die Pro­teste dort nie auf­ge­hört. Es gibt Städte, da wurde unun­ter­bro­chen montags demons­triert. Nun gibt es eine neue The­men­set­zung und einen ver­stärk­ten Zulauf. Das liegt einer­seits an der poli­ti­schen Kultur Ost­deutsch­lands. Hier gibt es eine größere Distanz gegen­über dem demo­kra­ti­schen System, der Regie­rung, einen regel­rech­ten Hass auf die Grünen, der sehr spürbar ist und eine auto­ri­täts­ori­en­tierte Ein­stel­lung. Ande­rer­seits liegt es auch an der mate­ri­el­len Vul­nerabi­li­tät. Es gibt in Ost­deutsch­land fak­tisch viel weniger Geld, Rück­la­gen, Erb­schaf­ten und damit einfach viel weniger Mög­lich­kei­ten, hohe Infla­tion und Ener­gie­preise aus­zu­glei­chen. Begrün­dete mate­ri­elle Exis­tenz­ängste und Trans­for­ma­ti­ons­ängste sind viel inten­si­ver. Das sind reale Ängste, die aller­dings von den starken rechten Akteur*innen gezielt geschürt werden. Das resul­tiert in einem Wohl­fühl-Terrain für die Her­aus­bil­dung von Protesten.

Sind es die glei­chen Men­schen, die mit den soge­nann­ten Mahn­wa­chen schon für Frieden mit Russ­land, als Pegida gegen die Asyl­po­li­tik und dann gegen die Coro­na­maß­nah­men auf die Straßen gingen?

Quent: Es sind teil­weise die glei­chen Akteur*innen, die vor allem im Hin­ter­grund über Social Media diese Pro­teste orga­ni­sie­ren. Bei den Frie­dens­mahn­wa­chen in Erfurt, die ich damals beglei­tet habe, waren es nie mehr als 60 bis 80 Leute. Die Nar­ra­tive­bene geht tiefer, das ist richtig, aber es ist nun eine ganz andere Grö­ßen­ord­nung. Für diese neue Dimen­sion hat beson­ders die Eta­blie­rung der AfD in den Par­la­men­ten und die Nor­ma­li­sie­rung ihrer Struk­tu­ren gesorgt. Es ist auch so, dass diese Themen in eine bestimmte, größere Metaer­zäh­lung, bei­spiels­weise die des „Great Reset“ ein­ge­speist werden – die Vor­stel­lung ist, dass Corona, Krieg, digi­tale Trans­for­ma­tion, Gen­der­de­bat­ten und eben auch eine öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­tion Teil eines großen Plans seien, um die Bevöl­ke­rung und Volks­wirt­schaf­ten völlig auf den Kopf zu stellen.

Beson­ders pro­ble­ma­tisch ist, wenn Men­schen, die bisher nicht radi­ka­li­siert, aber unzu­frie­den sind mit der Politik und auch völlig legitim unzu­frie­den sind, sich von diesem popu­lis­ti­schen oder wider­stän­di­gen Ton ange­spro­chen fühlen. Also: Ja, die Struk­tu­ren sind schon lange da, aber die Gefahr in der jet­zi­gen Krise ist die Anschluss­fä­hig­keit. Sei es aus einer naiv-pazi­fis­ti­schen, einer linken oder rechts­na­tio­na­lis­ti­schen Über­zeu­gung oder einfach aus nach­voll­zieh­ba­ren Exis­tenz­ängs­ten. Es wird immer schwie­ri­ger eine dif­fe­ren­zierte Kritik an den rich­ti­gen Dingen zu äußern, ohne dass sie sich in diese popu­lis­tisch bis faschis­ti­sche Bewe­gung einspeist.

Wie wahr­schein­lich ist es denn, dass diese Pro­teste eska­lie­ren und zu einer faschis­ti­schen Bewe­gung werden?

Quent: Wir sind auf dem besten Weg dahin. Der AfD und anderen Pro­test­or­ga­ni­sa­tio­nen der neuen Rechten gelingt es ja, sich als Speer­spitze dieses Pro­tests zu gerie­ren. Zum Bei­spiel sich als Teile des Pro­test­spek­trums in Lubmin den Iden­ti­tä­ren ange­schlos­sen haben. Das Faschi­sie­ren dieser Pro­teste findet bereits statt. Auf den Straßen haben sich Angst­räume gebil­det, Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen werden ange­grif­fen. Es gibt Kon­texte, in denen es zu Gewalt kommt bzw. kommen kann. Die Gefahr ist meines Erach­tens eher weniger, dass es zu Riots kommt, sondern, dass diese Dynamik in all­täg­li­cher Nor­ma­li­sie­rung mündet.

Ich würde gerne noch auf die Rolle der „alter­na­ti­ven Medien“ ein­ge­hen. Viele ihrer Themen finden sich ja auch auf den Pro­tes­ten wieder. Welche Rolle spielen sie in diesem Kontext?

Quent: Sie spielen eine große Rolle, weil sie die zen­tra­len Orte und Instan­zen sind, wo Zusam­men­halt her­ge­stellt wird. Nar­ra­tive, die aus ganz unter­schied­li­chen Rich­tun­gen kommen und die für Außen­ste­hende auch eher befremd­lich wirken, werden in „alter­na­ti­ven Medien“ nor­ma­li­siert und ver­brei­tet. Das gilt für Des­in­for­ma­tion aus Russ­land, für pro-rus­si­sche Des­in­for­ma­tion aus Deutsch­land bis hin zur Ver­ächt­lich­ma­chung der Demo­kra­tie als System. Also wird auch die Radi­ka­li­sie­rung der Pro­teste nor­ma­li­siert, indem über demo­kra­tisch legi­time Pro­teste hinaus eine sys­tem­feind­li­che und auch men­schen­feind­li­che Haltung ver­mit­telt wird und zen­trale Erzäh­lun­gen vor­ge­ge­ben werden.

Nar­ra­tive, die aus ganz unter­schied­li­chen Rich­tun­gen kommen und die für Außen­ste­hende auch eher befremd­lich wirken, werden in „alter­na­ti­ven Medien“ nor­ma­li­siert und ver­brei­tet. Das gilt für Des­in­for­ma­tion aus Russ­land, für pro-rus­si­sche Des­in­for­ma­tion aus Deutsch­land bis hin zur Ver­ächt­lich­ma­chung der Demo­kra­tie als System.“ 

Natür­lich ist es auch so, dass Medien wie AUF1 (ein öster­rei­chi­scher ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­scher Online-Sender, d. Red.) sozu­sa­gen diesen Spirit, diese Auf­re­gung auf­grei­fen und Dis­so­nan­zen mit dem Umgang mit den soge­nann­ten Main­stream-Medien nutzen wollen, um das System auf­zu­bre­chen und sich selbst als Medi­en­mi­lieu zu eta­blie­ren. Da spielen natür­lich auch finan­zi­elle Inter­es­sen eine große Rolle. Es ist ja nicht mehr nur der Mess­an­ger­dienst Tele­gram, in den letzten Monaten wurden tech­ni­sche Struk­tu­ren erar­bei­tet, die pro­fes­sio­na­li­sierte Inhalte prä­sen­tie­ren sollen. Für die Zukunft kann das natür­lich eine zuneh­mende Spal­tung bedeu­ten, da solche Medien Radi­ka­li­sie­rungs­po­ten­zial haben.

Sie beschäf­ti­gen sich auch mit anti­öko­lo­gi­schen Pro­tes­ten. Ihr neues Buch trägt den Titel „Kli­ma­ras­sis­mus“. Was ver­steht man darunter?

Queent: Seit etwa den 80er Jahren gibt es Debat­ten über Umwelt­ras­sis­mus, also über die unglei­chen und nega­ti­ven Folgen von Umwelt­ge­gen­ben­hei­ten. Diese Aus­ein­an­der­set­zung wird seit einigen Jahren auch auf die Folgen des Kli­ma­wan­dels über­tra­gen. Dabei lässt sich fest­stel­len, dass die Per­so­nen, die am wenigs­ten Ver­ant­wor­tung für den Kli­ma­wan­del tragen, am meisten dar­un­ter leiden und oftmals his­to­risch von ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung betrof­fen sind.

Es gibt Befunde in der For­schung, die die Indus­tria­li­sie­rung als Ursache des Kli­ma­wan­dels sehen und den Kolo­nia­lis­mus als Begleit­erschei­nung der Indus­tria­li­sie­rung. Des­we­gen betrach­ten wir es auf einer Ebene als struk­tu­relle Form des Rassismus.

Auf der anderen Seite gibt es die Ebene der Radi­ka­li­sie­rung. Damit meinen wir, dass die Ant­wort­ver­su­che bzw. Leug­nun­gen des men­schen­ge­mach­ten, vor allem im glo­ba­len Norden und vor allem von Weißen her­ge­stell­ten Kli­ma­wan­dels, von der äußers­ten Rechten auf ver­schie­dene Art und Weise bear­bei­tet wird, aber immer in einem radi­ka­li­sier­ten Ras­sis­mus resultiert.

In Ihrem Buch benen­nen sie zwei Strö­mun­gen. Welche sind das? 

Quent: Die domi­nan­tere Strö­mung ist der Anti­öko­lo­gis­mus – dar­un­ter fällt die Ableh­nung von Maß­nah­men zum glo­ba­len Kli­ma­schutz und die Leug­nung der Exis­tenz des men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­dels. Das finden wir in Par­tei­pro­gram­men der AfD und bei anderen Par­teien Rechts­au­ßen. Antiökolog*innen können sich aber durch­aus lokal um Kli­ma­schutz bemühen. Sie wollen zwar die globale Ver­ant­wor­tung nicht über­neh­men, aber das deut­sche Volk soll saubere Wälder haben.

Die andere Strö­mung ist die öko­fa­schis­ti­sche, die ver­gleichs­weise nischig ist, aber eine lange Tra­di­tion bis in den Natio­nal­so­zia­lis­mus hat. Hier wird Klima- und Umwelt­schutz als Instru­ment genutzt, um eine völ­ki­sche Blut- und Boden­po­li­tik durch­zu­set­zen. Ein Argu­ment ist hier bei­spiels­weise, dass der Bevöl­ke­rungs­wachs­tum unter Muslim*innen oder in Afrika schuld sei für den Kli­ma­wan­del und dieser müsse deshalb redu­ziert werden. Diese Rich­tung ist zwar weniger populär, aber trotz­dem gefähr­lich. Der Atten­tä­ter von Christ­church hat die Ermor­dung von 52 Muslim*innen so gerecht­fer­tigt. Solche Stimmen kommen auch in Deutsch­land aus ein­zel­nen Rich­tun­gen, wie aus der „Jungen Alter­na­ti­ven“ oder der neu­rech­ten Zeit­schrift Die Kehre. Dort wird das Kli­mathema genutzt, um eine anti­se­mi­ti­sche, anti­mo­derne und letzt­lich faschis­ti­sche Politik zu rechtfertigen.

Mit der zuneh­men­den Dring­lich­keit der Kli­ma­krise aber und dem Erstar­ken der Kli­ma­be­we­gung, u.a. auch durch Fridays For Future, hat sie an Bedeu­tung gewon­nen. Rechte Bewe­gun­gen sind ja ins­ge­samt Abwehr­be­we­gun­gen gegen Modernisierungstrends.“ 

Seit wann spielt die öko­lo­gi­sche Wende für rechts­extreme Kräfte über­haupt eine Rolle?

Quent: Für bestimmte Akteur*innen gab es das Thema schon immer. Mit der zuneh­men­den Dring­lich­keit der Kli­ma­krise aber und dem Erstar­ken der Kli­ma­be­we­gung, u.a. auch durch Fridays For Future, hat sie an Bedeu­tung gewon­nen. Rechte Bewe­gun­gen sind ja ins­ge­samt Abwehr­be­we­gun­gen gegen Moder­ni­sie­rungs­trends. Die The­ma­tik dient auch als popu­lis­ti­sches Mittel zur intel­lek­tu­el­len Unter­füt­te­rung der Neuen Rechten.

Ich würde gerne nochmal zurück zu den der­zei­ti­gen Pro­tes­ten kommen. Was wün­schen Sie sich von der Politik und was kann die Zivil­ge­sell­schaft tun, um diese Ent­gren­zung der Posi­tio­nen auf der Straße zu stoppen?

Quent: Es muss eine sozial gerechte Politik geben, die nicht nur die größten Härten abmin­dert, sondern das Gerech­tig­keits­ge­fühl in der Gesell­schaft, das extrem gelit­ten hat, wieder her­stellt. Es müssen Maß­nah­men unter­nom­men werden, die auf eine gerechte Ver­tei­lung der Kri­sen­kos­ten hin­aus­lau­fen. D.h. stär­kere Schul­tern auch stärker zu belas­ten. Das andere ist natür­lich eine Stär­kung der poli­ti­schen Bildung und der Zivil­ge­sell­schaft im Umgang mit diesen Ent­wick­lun­gen und Her­aus­for­de­run­gen. Gerade im länd­li­chen Raum in Ost­deutsch­land werden diese Akteur*innen in die Defen­sive getrie­ben. Es wäre sicher auch wichtig, darüber zu spre­chen, wie eine Zukunft gestal­tet werden kann, ohne diese Abhän­gig­kei­ten und darüber zu spre­chen, wer die Ver­ant­wor­tung für fossile Ener­gien über­nimmt. Das ist die zen­trale Frage im Hin­blick auf die öko­lo­gi­sche Wende. Politik muss Ver­ant­wor­tung über­neh­men, für Fehler, die gemacht wurden und die weiter gemacht werden, um bestimm­ten Akteur*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 


Zur Person

Mat­thias Quent ist Pro­fes­sor für Sozio­lo­gie an der Hoch­schule Mag­de­burg-Stendal und Grün­dungs­di­rek­tor des Insti­tuts für Demo­kra­tie und Zivil­ge­sell­schaft (IDZ) in Jena. Sein Sach­buch „Kli­ma­ras­sis­mus“ (mit Chris­toph Richter und Axel Sal­hei­ser) erschien 2022.


Inter­view: Erika Balzer

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Demokratie leben! Bundeszentrale für politische Bildung