NachDenkSeiten
Zuletzt wurde von Rechtsextremen wie dem Compact-Chef Jürgen Elsässer zum „Wut-Winter“ zu einem Schulterschluss von Ultrarechten, „Querdenkern“ und sogenannten „alternativen Medien“ bis zu „selbstdenkenden Linken in der geistigen Richtung von Sahra Wagenknecht“ aufgerufen. Wie verhalten sich Portale mit linker Historie wie die NachDenkSeiten vor dem Hintergrund einer möglichen Protestwelle gegen Regierungspolitik und Ukraine-Krieg zu einer solchen mutmaßlichen Querfront?
Von der Großdemonstration mit der AfD am 8. Oktober in Berlin, bei der die Kampagne „Unser Land zuerst!“ gestartet wurde, kommentierte das Blog nicht. Florian Warweg indes, der vom russischen Propagandamedium RT DE zu den NachDenkSeiten gestoßen ist, berichtete ausführlich über einen von linken Gruppen organisierten Protest „Für Heizung, Brot und Frieden“ am 5. September in Berlin, bei dem auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen vor der Grünen-Parteizentrale auftrat. Warweg zitiert Dağdelen mit den Worten: „Manchmal sagen sie, wir sind Rechte, manchmal sagen sie, wir sind ‚Putin-Trolle‘. Wir sind nichts von dem. Wir sind Demokraten, die hier das Recht auf Versammlungsfreiheit praktizieren und gegen die Ampel-Regierung protestieren.“
Mehrfach gaben die NachDenkSeiten zuletzt auch einem „Forum für Demokratie und Freiheit“ eine Bühne – einer Gruppe, die in Plauen im Vogtland Demonstrationszüge gegen die Energie-Politik organisiert und laut Medienbericht ein Ende der „bösartigen Sanktionen“ gegen Russland fordert. Im Oktober zitierte das Portal die Aktivistin Moreen Thümmler, eine Heilerziehungspflegerin: „Die über Jahrzehnte aufgebauten Mauern sind noch in vielen Köpfen vorhanden, Ost-West, Links-Rechts. Wir sind vor allem eins: Menschen! Eine Gemeinschaft!“ Schon im August hieß es in einem Beitrag auf den Nachdenkseiten affirmativ, Thümmler habe mit ihrer Rede in Plauen die Zuhörer berührt.
Was die NachDenkSeiten nicht erwähnen: Der Hauptorganisator der Gruppe, David Thiele, wertet das demokratische System als solches ab, indem er über Parteien sagt, sie seien „generell beschissen und zum Kotzen“, „geistiger Müll“, „Gift“ und würden die Gesellschaft spalten. Zu den 21 Zielen des Forums gehört auch die Forderung nach Auflösung des Bundestages und der Bundesregierung. Auch soll die Gruppe nach einem Bericht des MDR die Mehrheit des Bundestages als „Volksverräter“ bezeichnen, bei den Protesten wurden auch Fahnen der rechtsextremen Kleinpartei „Freie Sachsen“ gezeigt. Während die NachDenkSeiten der Gruppe ein Podium bietet, beobachtet etwa das Kulturbüro Sachsen bei den Plauener Protesten und den Organisatoren „klare Reichsbürger-Rhetorik“.
Lob spenden die NachDenkSeiten regelmäßig Sahra Wagenknecht, der früheren Vorsitzenden der Linken-Bundestagsfraktion – für ihre Positionen jenseits der Partei-Linie.
Während die NachDenkSeiten sich lange gegen rechte Positionen und die AfD abgegrenzt haben, finden nun auch Positionen der rechtsradikalen Partei Zustimmung. Nach der Niedersachsen-Wahl im Oktober betonten die NachDenkSeiten, die AfD habe als einzige Partei die Position der Bundesregierung zu Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen „im Kern kritisiert“, deshalb solle man den Wählern der Partei „nicht ihre demokratische Gesinnung absprechen“. Jens Berger schrieb in einem Kommentar, „die Fremdenfeindlichkeit und die reaktionären Wertevorstellungen der AfD“ seien „schlimm“. Rhetorisch fragte er: „Aber ist eine Politik, die auf einen nuklearen Holocaust in Europa zusteuert, nicht sogar noch schlimmer?“ Und müsste nicht auch der Erfolg der „Kriegstreiberpartei“ Die Grünen Anlass zur Sorge geben? In der „existenziellen Frage“ rund um Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen jedenfalls liefere die AfD „eine progressive friedenspolitische Antwort“ und habe damit „ein Alleinstellungsmerkmal“. Schon im April hatte Berger eine Bundestagsrede des AfD-Politikers Alexander Gauland, in der es um die Lieferung von Waffen an die Ukraine ging, als „Höhepunkt der Debatte“ gelobt. Sein Text war überschrieben: „Diese Rede hätten wir gerne vom Bundeskanzler gehört – doch sie kam von Alexander Gauland“. m.m.