Zwischen Propaganda und Zensur: Das Problem mit RT
Seit Anfang März dürfen die Inhalte von RT in der EU nicht mehr verbreitet werden. Zunächst vorübergehend. Während einige dies als notwendigen Schritt sehen, um die destruktive Wirkung russischer Staatspropaganda einzudämmen, warnen andere Stimmen vor einer Einschränkung der Pressefreiheit.
Der staatliche Auslandssender RT DE (früher RT Deutsch) bittet um Unterstützung: „Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid.“ Hintergrund dieses Aufrufs unter den Beiträgen sei, dass die EU „eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen“ bringen wolle. „Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs“, so schreibt RT DE weiter.
Ein Paradebeispiel für das Selbstverständnis, das der russische Propagandasender vor sich her trägt: Nur RT sei eine kritische Stimme, andere Medien seien hingegen ideologische Sturmgeschütze. Mit der medialen Vielfalt in Europa und der tatsächlichen Berichterstattung von RT hat dieses Selbstbild allerdings wenig zu tun. So bedient der russische Auslandssender seit Jahren radikale Zielgruppen, hat neue Maßstäbe im „False Balancing“ gesetzt und zeichnet ein Bild von Deutschland, das – bei allen tatsächlichen Problemen und Konflikten – in etwa einer Mischung aus gescheiterter oder Schurkenstaat und Bürgerkriegsland entspricht. Der Trick ist dabei nicht die massenhafte Verbreitung von glasklaren Falschmeldungen, sondern vor allem die höchst selektive Themensetzung, die ein verzerrtes Gesamtbild in den dunkelsten Farben erzeugt. Anheizen, polarisieren, spalten – so der destruktive Dreiklang, der bei der Auswahl offenkundig besonders relevant ist.
RT DE: Stichwortgeber der Corona-Leugner
In der Corona-Pandemie fiel RT DE ebenfalls nicht durch im tatsächlichen Sinne kritische Berichterstattung auf, sondern durch krude Beiträge und reichlich Aufmerksamkeit für „Querdenker“-Demonstrationen, die oft live übertragen wurden, oder durch ausführliche Berichte über den „Corona-Ausschuss“, in dem Impfskeptiker ihr Stelldichein gaben. Mit diesem Angebot entwickelte sich der Sender zu einem der wichtigsten Stichwortgeber im Corona-Leugner- und „Querdenker“-Milieu. Bei AfD-Anhängern war der staatliche Auslandssender ohnehin bereits populär. Auch, weil RT DE gerne eine Bühne bot für absolute Randfiguren aus Politik, Medien oder Wissenschaft, die in anderen Medien kaum zu Wort kommen – und das nicht, weil sie besonders scharfsinnige Kritik vortragen würden, sondern ganz im Gegenteil: Weil sie mit oft grotesken Behauptungen um sich werfen.
Doch vorerst ist der Vorhang der großen Bühne im russischen Staatssender gefallen: Nach dem temporären Verbot von RT-Inhalten macht der Sender zwar weiter, muss aber neue Verbreitungswege finden. Neben den Aufrufen, die Inhalte zu teilen, setzt der Sender auf neue Internet-Adressen, die der bisherigen ähneln. Bemerkenswert aktive Profile verbreiten Links zu den Beiträgen unter anderem auf Facebook, in Gruppen wie „Deutsch-Russische Freundschaft“ oder „Aufstehen für den Frieden“. Die Kreml-treuen Netzwerke sind mindestens seit den „Mahnwachen“ im Jahr 2014 aufgebaut worden und weiterhin intakt. Dennoch bedeuten die Sperrungen einen Verlust an Reichweite und Einfluss für RT.
Neue Rolle der diplomatischen Vertretungen
Dafür haben die diplomatischen Vertretungen Russlands an Bedeutung gewonnen, um die Narrative des Kremls in die Welt zu tragen. Die russische Botschaft in London tut sich ohnehin seit Jahren mit provokanten Social-Media-Posts hervor; seit dem Verbot von RT scheinen die Profile von russischen Botschaften und Ministerien noch koordinierter vorzugehen und sich durch Retweets gegenseitig Reichweite zu verschaffen. Nach den Berichten über die Gräueltaten in Butscha twitterten verschiedene Konten russischer Botschaften, so auch die Vertretung in Deutschland, unter anderem von „einer Fälschung im Fall ‚Butscha‘ “.
Auffällig dabei: Die Auslassungen des Kreml zu Butscha und anderen mutmaßlich von der russischen Armee verübten Kriegsverbrechen wie in Mariupol stimmen oft nicht miteinander überein, sind alles andere als stringent, im Gegenteil: Es werden widersprüchliche Erzählungen verbreitet. So ist mal davon die Rede, bei den Leichen handele es sich um Schauspieler, dann heißt es, die Menschen seien von ukrainischen „Nazis“ ermordet worden. Ähnlich war es nach dem Angriff auf eine Klinik in Mariupol: Opfer wurden als angebliche Schauspieler verhöhnt, gleichzeitig dementierte Moskau die Angriffe, aber es kursierte auch die Behauptung, in der Klinik hätten sich ukrainische Bataillone verschanzt. Für alle Fälle war die passende Legende parat.
So hebelt die russische Propagandamaschine auch die Wirkung von Faktenchecks aus, da eine widerlegte Lüge umgehend durch eine neue ersetzt werden kann.
Mit dieser Strategie können gleichzeitig mehrere Effekte erreicht werden: Die öffentliche Debatte durch möglichst viele verwirrende und unsinnige Meldungen soweit zu stören, dass am Ende diverse Schilderungen nebeneinander stehen – von denen man sich eine aussuchen kann. Sollte eine Legende gar nicht mehr haltbar sein, weil die Gegenbeweise zu erdrückend sind, bleiben immer noch alternative Versionen, auf die der Kreml und seine Anhänger zurückgreifen können. So hebelt die russische Propagandamaschine auch die Wirkung von Faktenchecks aus, da eine widerlegte Lüge umgehend durch eine neue ersetzt werden kann. Die russischen Falschbehauptungen bauen oft aufeinander auf, ein ganzes Referenzsystem wurde erschaffen. So tauchten im Kontext von Butscha erneut Legenden auf, wonach Giftgasangriffe in Syrien ebenfalls inszeniert gewesen seien.
Wie gehen freiheitliche Gesellschaften mit Propaganda um?
Doch wie gehen freiheitliche Gesellschaften mit solch systematisch aufgebauter Propaganda um? Ist das temporäre Verbot von RT DE angemessen – oder tappt man damit in eine autoritäre Falle? Die Chefin des russischen Exil-Magazins Meduza, Galina Timtschenko, sagte der Zeitung Standard: „Wenn du für Meinungs- und Pressefreiheit eintrittst, darfst du keine Medien sperren, auch wenn sie falsch sind und nur Propaganda verbreiten.“ Mit ihrer Verbotsentscheidung spiegle die EU das Verhalten von Autokraten wie Putin wider. Juristen warnen zudem, das Verbot könnte möglicherweise rechtlich nicht haltbar sein; es drohe eine Niederlage vor Gericht, weil die EU gar nicht zuständig sei.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) verteidigte das Vorgehen hingegen: „Bei Russia Today und Sputnik handelt es sich aus Sicht des Putin-Regimes um zentrale Instrumente in einem vermeintlichen Informationskrieg. Auch in Bezug auf den blutigen Angriffskrieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine“, sagte Roth der Welt. Auch CDU-Politiker sprachen sich für das Verbot aus. Der SPD-Medienpolitiker Helge Lindh betonte, Putins Desinformationskampagne nehme es sich bereits seit Jahren zum Ziel, Demokratien zu spalten und zu destabilisieren. „Das Gift der Propaganda, Desinformation und Lüge ist gerade in Kriegszeiten tödlich“, sagte Lindh. „Eine freie Gesellschaft muss das nicht aushalten. Sie darf das nicht aushalten, muss wehrhaft sein, wenn sie frei bleiben will.“
Der russische Angriffskrieg und die Gräuel in der Ukraine, die von Russlands Propaganda als Lügen abgetan werden, liefern den Befürwortern des temporären Verbots von RT eindrückliche Argumente – doch wie es langfristig weitergehen soll, dafür scheint es noch keine Strategie zu geben. Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die russische Propagandamaschine gar kein eigenes Narrativ verbreiten will, sondern darauf angelegt ist, pauschal unbelegte Zweifel zu säen, sodass als Konsequenz auch gesicherte Informationen nicht mehr als glaubwürdig gelten und ein sachlich-fundierter Diskurs zerstört wird.