Was CoronaskeptikerInnen zu Putinfans macht
Seit über zwei Jahren demonstrieren Coronaskeptiker:innen gegen Pandemiemaßnahmen und für „Frieden, Freiheit, Demokratie“. Viele ihrer Positionen tauchen nun in Bezug auf den Ukrainekrieg wieder auf – dazu zählen die Sympathie mit einem autokratischen Russland, eine antiwestliche Haltung, Skepsis gegenüber etablierten Medien und Verschwörungserzählungen, in denen auf die „Corona-Lüge“ die „Ukraine-Lüge“ folgt.
Am 20. März 2022, etwa einen Monat nach dem Beginn der russischen Offensive gegen die Ukraine, fand in Dresden eine Querdenken-Demonstration statt. Das rbb-Magazin Kontraste war vor Ort, um mit Demonstrierenden zu sprechen. Die O‑Töne zeigen: Wie bei Covid-19 wird nun auch hinter dem Krieg in der Ukraine eine Verschwörung vermutet. „Ich weiß nicht, warum die Ukraine so starken Widerstand leistet. Ich denke, der Putin hat ganz gute Ansichten“, sagt ein Befragter. Eine weitere Person – vor einer Fahne der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“ – zeigt Verständnis für Waldimir Putin: „Ich habe das ungute Gefühl, dass man Putin in eine Ecke gedrängt hat, aus der er sich nicht anders zu helfen gewusst hat.“ In den Antworten zeigt sich Empathie für den Autokraten. „Die große Suppe ist vom US-Finanzimperialismus gekocht und deren Interesse ist, die Kontrolle über die gesamte Welt zu haben“, sagt ein weiterer Demonstrant, und gibt damit einen Einblick in seine Sichtweise der aktuellen Geschehnisse. Er ist sich sicher: Er riskiere sein Leben, wenn er diese „Wahrheit“ ausspreche. All dies sind Aussagen, die man seit Jahren aus verschwörungsideologischen Kreisen und jüngst auch von den Querdenken- und Coronaprotesten kennt.
Gemeinsamer Feind: die „Lügen-Presse“
Der Erzfeind von antidemokratischen, verschwörungsideologischen bis hin zu rechtsextremen Gruppen sind die Medien, oftmals als „Lügen-Presse“ geschmäht. Gemeint sind damit insbesondere der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk und etablierte sogenannte „Mainstream-Medien“. Nach Ansicht der Szenen, versuchten diese angeblich, durch Berichterstattung eine ganz eigene Agenda durchzusetzen, die ihnen diktiert wird – wahlweise von Politiker:innen, der Europäischen Union, den USA oder anderen mächtigen Eliten. Verschwörungsgläubige sehen die Meinungs- und Pressefreiheit bedroht und sprechen insbesondere seit Beginn der Coronapandemie sogar von einer Diktatur in Deutschland.
Von der Annahme, Medien würden uns gezielt belügen, weichen Coronaleugner:innen auch in Bezug auf den Krieg gegen die Ukraine nicht ab. Ein Analyse-Paper der Amadeu Antonio Stiftung zeigt, wie demokratiefeindliche Medien und Kräfte in Deutschland auf den Krieg reagierten. Das Ergebnis ist deutlich: Deutsche Neonazis stehen ukrainischen Ultranationalist:innen zur Seite. Coronaleugner:innen und Verschwörungsideolog:innen wie der Querdenken-Arzt Bodo Schiffmann oder der in verschwörungsgläubigen Kreisen populäre Online-TV-Sender Auf1.TV hingegen ahnen hinter dem Krieg eine Ablenkung von der Pandemie oder vom „Great Reset“ – eine Verschwörungserzählung vom Umbau der Welt durch eine kleine Elite, die sich nicht selten antisemitischer Chiffren bedient.
Sympathien mit einem autokratischen Russland kennt man in Deutschland aber schon seit 2014. Nach der Annexion der Krym fanden bundesweit so genannte „Friedensmahnwachen“ statt. Damals setzten sich Verschwörungsideolog:innen wie Ken Jebsen und Jürgen Elsässer für einen „Frieden mit Russland“ ein.
An die pauschale Ablehnung von etablierten Medien und „dem System“ in Deutschland oder der EU an sich, knüpft auch die prorussische Kriegserzählung an. Der Kreml und sein Auslandssender RT arbeiten seit Jahrzehnten daran, antiwestliche Positionen auch außerhalb Russlands zu verbreiten. AfD-Poliker:innen wie Markus Frohnmaier oder Gunnar Lindemann sowie das rechtsextreme Compact-Magazin beispielsweise pflegen enge Kontakte in kremlnahe Kreise. Sympathien mit einem autokratischen Russland kennt man in Deutschland aber schon seit 2014. Nach der Annexion der Krym fanden bundesweit so genannte „Friedensmahnwachen“ statt. Damals setzten sich Verschwörungsideolog:innen wie Ken Jebsen und Jürgen Elsässer für einen „Frieden mit Russland“ und gegen die Dämonisierung Putins ein – beide noch immer einflussreiche Akteure der „alternativen“ Medien.
Und es gibt noch andere Anknüpfungspunkte. Der autokratische Machthaber Russlands spricht statt von einem Krieg von einer „Spezialoperation“ und der Befreiung der Ukraine von Nazis und Faschist:innen. Diese Äußerungen werden von antidemokratischen Kräften, Verschwörungsgläubigen und einigen postsowjetischen Migrant:innen in Deutschland dankbar aufgegriffen. Denn Verschwörungsgläubige vermuten erneut, Medien hierzulande durchschaut und die echte Wahrheit erkannt zu haben. Und für einige der 2,2 Mio. Russlanddeutschen und Spätaussiedler:innen – insbesondere für die ältere Generation – ist das russische Fernsehen ihre mediale Heimat, welcher sie zum Teil mehr Vertrauen schenken als der deutschen Medienlandschaft. Bekräftigt wird das Bild, wenn so genannte Influencer:innen wie Alina Lipp prorussische Kriegspropaganda auf Telegram verbreiten. Täglich erreichen ihre Berichte aus der Ukraine mehr als 135.000 Menschen – auf Deutsch und auf Russisch.
Instrumentalisierung von „Russophobie“ und Diskriminierung
Neben dem Einsatz für das, was sie „Frieden“ und „Freiheit“ nennen, scheint Coronaleugner:innen und Putin-Sympathisant:innen auch der Kampf gegen angebliche Diskriminierung zu einen. Zumindest auf den ersten Blick. Demnach sollen angeblich zuerst Ungeimpfte systematisch diskriminiert worden sein, nun russischsprachige Menschen. In den vergangenen Wochen fanden deswegen mehrere Autokorsos und Demonstrationen statt. Russische Fahnen wehten unter anderem in Hannover, das Motto der Anmeldung mit über 600 Teilnehmenden: „Gegen die Diskriminierung von russischsprachigen Menschen“. Als einige Demonstrierende von Stern-TV-Reportern nach ihren persönlichen Diskriminierungserfahrungen gefragt wurden, konnten oder wollten sie aber keine konkreten Beispiele nennen, hätten es stattdessen von Bekannten gehört. Stattdessen wird von einzelnen Demonstrierenden die Erzählung von ukrainischen Nazis wiederholt, die Massaker von Butscha als Inszenierung dargestellt, Demonstrierende tragen Putin-T-Shirts. Mit solchen Protesten, die sich in den Dienst der Kremlpropaganda stellen, verharmlosen Pandemieleugner:innen und Kremlfans die existierenden Fälle von Diskriminierung und Hassrede.
Die gezielte Verbreitung von erfundenen Anfeindungen bekräftigt das Narrativ der „Russophobie“, an welchem der Kreml schon seit Jahren arbeitet, wie beim „Fall Lisa“ 2016. Auf TikTok ereignete sich der jüngste Vorfall einer solchen prorussischen Lüge: Eine Frau verbreitete die Nachricht, ein 16-jähriger Junge wäre in einer Unterkunft für Geflüchtete in Euskirchen von einem „ukrainischen Mob“ zu Tode geprügelt worden, weil er Russisch sprach. Wenige Tage später entschuldigte sich die Frau für das Video. Diese erfundene, aber emotional aufgeladene Behauptung legitimiert ihren Protest gegen angebliche „Russophobie“ und Diskriminierung. Diese Beispiele ändern selbstverständlich nichts daran, dass Antislawismus real ist und angesprochen werden muss.
Ganz besonders zeigen die Rufe nach „Frieden und Freiheit“ das Ausmaß verschwörungsideologischer Parallelwelten. Meist ungestört und ohne große Auflagen durch den Staat konnten Coronaleugner:innen seit Beginn der Pandemie fast täglich demonstrieren. Und sogenannte „alternative“ Medien, auch wenn einige von ihnen antisemitische Verschwörungserzählungen oder rechtsextremes Gedankengut verbreiten, werden nicht verboten und nur in seltensten Fällen eingeschränkt. Anders übrigens als unabhängige Journalist:innen, demokratische Organisationen oder Anti-Kriegs-Versammlungen in eben jenem Russland, für das viele Menschen in der Szene Partei ergreifen.