Was unterscheidet seriöse von „alternativen“ Medien?
Wie arbeiten Journalisten? Was dürfen sie – und was nicht? Diese Fragen begegnen uns, wenn es darum geht, Medien, Medienbeiträge und ihre Verfasser einschätzen zu können. Eine staatliche Aufsicht würde dem Grundsatz der freien Presse widersprechen. Aber ganz ohne Regeln kommt seriöser Journalismus nicht aus.
Journalistinnen und Journalisten sind Menschen, die „hauptberuflich an der Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen, Meinungen und Unterhaltung durch Medien“ beteiligt sind – so definiert es der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), eine der zwei großen Journalisten-Gewerkschaften.
Es ist deswegen interessant, diese Definition zu lesen, weil es gar nicht so einfach ist, den Begriff Journalistin / Journalist zu definieren. Denn er ist in Deutschland nicht geschützt. Jede und jeder, der oder die schreibt, sendet, bloggt, twittert, kann sich Journalistin oder Journalist nennen. Das ist einerseits richtig und wichtig in einer Demokratie, es gewährleistet die Presse- und Meinungsfreiheit, die im Grundgesetz in Artikel 5 festgeschrieben ist. Es kann aber andererseits auch gefährlich werden. Die meisten Medien, vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Tageszeitungen, genießen in Deutschland großes Vertrauen.
Allerdings haben die etablierten Medien durch das Internet viel Konkurrenz bekommen. Youtuberinnen erreichen heute mit quasi-journalistischen Formaten zum Teil ein Millionenpublikum. In Krisenregionen, wie im Krieg in der Ostukraine, geben sich Aktivisten als Reporterinnen aus und berichten als Einzelkämpfer mit Handykamera von der Front. Und die Querdenken-Bewegung hat auch deshalb so viele Leute erreicht, weil dort ehemalige oder selbsternannte Journalisten wie Ken Jebsen Verschwörungen als seriöse Informationen verkauft haben und verkaufen.
Seriöse journalistische Arbeit folgt bestimmten Regeln
Wer, wie der DJV schreibt, Informationen und Meinungen durch Medien verbreitet, mag sich also Journalistin oder Journalist nennen dürfen. Glaubwürdigkeit gibt ihm oder ihr das noch nicht. Es stellt sich die Frage, was seriöse Journalistinnen und Journalisten von unseriösen unterscheidet. Was macht das deutsche System der etablierten Medien aus? Und welche Rolle spielt dabei der Staat – der einerseits in eine freie Presse nicht eingreifen darf, der aber andererseits die Gesetze schreibt, unter denen Journalistinnen und Journalisten gut und sicher arbeiten können müssen?
Der Deutsche Presserat ist das Selbstregulierungsorgan der Branche. Das braucht es, weil eine staatliche Aufsichtsbehörde mit dem Anspruch einer freien Presse nicht vereinbar wäre.
Ganz ohne Regeln kommt das seriöse journalistische Schreiben nicht aus. Die Grundsätze der journalistischen Recherche etwa sind im Pressekodex festgeschrieben. Aufgestellt hat ihn der Deutsche Presserat. In ihm sind die großen Verleger- und Journalistenverbände zusammengeschlossen. Er ist also das Selbstregulierungsorgan der Branche. Das braucht es, weil eine staatliche Aufsichtsbehörde mit dem Anspruch einer freien Presse nicht vereinbar wäre. Der Presserat hat den Pressekodex im Jahr 1973 zum ersten Mal vorgelegt und seitdem immer wieder überarbeitet. Die meisten deutschen Verlage und seit einigen Jahren auch einige Online-Only-Medien, bekennen sich dazu, den Pressekodex zu achten.
Er besteht aus 16 Paragrafen, als oberstes Gebot der Presse definiert er die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit. Er verpflichtet Journalistinnen und Journalisten zu sorgfältiger Recherche, zum Schutz der Persönlichkeitsrechte derer, über die sie berichten und er verbietet diskriminierende Berichterstattung. Er verlangt, dass Werbung und Berichterstattung deutlich getrennt werden und dass Journalistinnen und Journalisten keine Vorteile, Geschenke oder Posten annehmen, die ihre Glaubwürdigkeit beschädigen könnten. Eine direkte Einflussnahme soll so verhindert werden.
2021 sprach der Presserat 60 Rügen aus – mehr als jemals zuvor. 25 Rügen richteten sich allein gegen Texte der Bild-Zeitung.
Der Pressekodex schreibt also die großen ethischen Linien vor – und die Grundlagen für die Sanktionsmöglichkeiten des Presserats. Leserinnen und Leser können sich beim Presserat über Artikel in Zeitungen, Zeitschriften oder Onlinemedien beschweren. Die ehrenamtlichen Beschwerdeausschüsse des Presserats aus Journalistinnen und Journalisten sowie Verlagsvertreterinnen und ‑vertretern beraten viermal im Jahr, ob die Artikel gegen den Pressekodex verstoßen. 2021 sprach der Presserat 60 Rügen aus – mehr als jemals zuvor. 25 Rügen richteten sich allein gegen Texte der Bild-Zeitung.
Selbstverpflichtung zur Veröffentlichung öffentlicher Rügen
Haben die Medien den Pressekodex unterschrieben, sind sie verpflichtet, die öffentlich ausgesprochenen Rügen zu veröffentlichen und damit für die Leserinnen und Leser transparent zu machen. Die Bild-Zeitung veröffentlichte die Rügen allerdings nicht mehr, obwohl sich der Axel Springer-Verlag dazu verpflichtet hat.
Ausgebildete Journalistinnen und Journalisten lernen in ihrem Volontariat oder an der Journalistenschule, wie die im Pressekodex formulierten Forderungen handwerklich umzusetzen sind: Recherchen müssen durch mehrere, valide Quellen belegt und dokumentiert werden. Dabei gilt das Zwei-Quellen-Prinzip, das heißt, dass eine Information von zwei unabhängigen Quellen bestätigt sein muss, bevor sie veröffentlicht wird. Dazu gehört auch, dass Menschen, gegen die im Laufe einer Recherche Vorwürfe erhoben werden, konfrontiert werden müssen. Das heißt, sie müssen die Möglichkeit bekommen, Stellung zu beziehen. Das dient der Fairness und der Ausgewogenheit.
Presserecht definiert Grenzen der Berichterstattung
Es gibt auch Regeln, wann und wie Berichterstattung erlaubt ist. Diese sind durch das Presserecht definiert. Wenn eine Person, über die berichtet wurde, glaubt, dass Medien gegen das Presserecht verstoßen haben, kann sie sich gerichtlich wehren. Medien müssen dann mit straf- oder zivilrechtlichen Konsequenzen rechnen, etwa mit Geldstrafen oder Schadensersatz.
Dabei unterscheidet das Presserecht zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen. Tatsachenbehauptungen müssen theoretisch bewiesen werden können. Meinungsäußerungen sind Ansichtssache – sie können von Gerichten aber trotzdem als verleumderisch eingestuft werden.
Eine wahrheitsgemäße Berichterstattung ist nicht immer möglich. Und so erkennt das Presserecht an, dass Medien, trotz ihrer Verpflichtung, wahrhaftig zu berichten, die absolute Wahrheit nicht immer gewährleisten können. Auch ein Verdacht darf berichtet werden, selbst wenn er sich später als unbegründet herausstellt. Denn wenn Medien immer abwarten müssten, bis eine Angelegenheit abgeschlossen oder geklärt ist, wäre eine Berichterstattung über politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Missstände kaum möglich.
Regeln der Verdachtsberichterstattung besonders streng
Diese sogenannte Verdachtsberichterstattung kommt vor allem dann vor, wenn es um Straftaten geht, für die die Beschuldigten nicht oder noch nicht verurteilt wurden. Das betrifft zum Beispiel Recherchen zu Korruption, Bestechung oder zu Vorwürfen von sexualisierten Übergriffen; Stichwort #metoo. Die Regeln für Verdachtsberichterstattung sind besonders streng. Einfach ein Gerücht aufschreiben, nur weil zwei Leute es unabhängig voneinander erzählen, reicht nicht aus. Die Recherche muss besonders sorgfältig sein, Zweifel und Widersprüche müssen deutlich gemacht werden, der oder die Beschuldigte muss genügend Zeit bekommen, um auf Vorwürfe zu reagieren.
Youtuber oder Bloggerinnen waren bisher von den journalistischen Sorgfaltspflichten ausgenommen. So konnten die Betreiber der selbsternannten „alternativen Medien“ über ihre Kanäle Falschinformationen und Lügen als seriöse Berichterstattung tarnen, und es gab kaum Möglichkeiten, das zu verbieten.
So hoch die Ansprüche an klassische Berichterstattung auch sind, sie hatten vor allem in den letzten Jahren ein Problem: Sie galten nur für die klassische Presse. Youtuber, Bloggerinnen und Influencer, die im Internet mittlerweile oft viel mehr Menschen erreichen als die klassischen Medien, waren von den journalistischen Sorgfaltspflichten ausgenommen. So konnten die Betreiber der selbsternannten „alternativen Medien“ über ihre Webseiten und Kanäle Falschinformationen und Lügen als seriöse Berichterstattung tarnen, und es gab kaum Möglichkeiten, das zu verbieten.
Das hat der Medienstaatsvertrag geändert. Er ist Ende 2020 in Kraft getreten und hat den Rundfunkstaatsvertrag abgelöst, der vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF reguliert hat.
Medienstaatsvertrag verpflichtet erstmals auch Online-Only-Medien
Der neue Medienstaatsvertrag schreibt die Spielregeln nun auch für Google, Facebook fest – und, und das ist neu: auch für Online-Medien, Nachrichtenseiten und Blogs , die keine Ableger von Zeitungen oder Zeitschriften sind. Das betrifft Webseiten wie correctiv.org und netzpolitik.org genauso wie die teils verschwörungstheoretische oder rechte Webseiten wie zum Beispiel NachDenkSeiten, PI-News und Co..
Sie sind nach dem Medienstaatsvertrag nun offiziell verpflichtet, sich an journalistische Grundsätze zu halten. Um deren Einhaltung zu kontrollieren, können diese Medien eine Instanz der freiwilligen Selbstkontrolle gründen, ähnlich wie den Presserat. Oder die Landesmedienanstalten übernehmen deren Überwachung, also die Behörden, die die Aufsicht über die privaten Radio- und Fernsehprogramme und Telemedien haben.
Damit haben die Landesmedienanstalten auch gleich begonnen, nachdem der Medienstaatsvertrag in Kraft getreten war: Mehrere Webseitenbetreiber, darunter der des Deutschland-Kurier, eine AfD-nahe rechtspopulistische Plattform, und KenFM, das ehemalige Portal des rechten Verschwörungstheoretikers Ken Jebsen, erhielten Hinweisschreiben der Landesmedienanstalten. Darin forderten die Anstalten die Betreiber zur „Einhaltung journalistisch-redaktioneller Sorgfaltspflichten“ auf. Ken Jebsen hatte darauf offenbar mit kleineren Anpassungen auf seiner Webseite reagiert, das reichte der Medienaufsicht aber nicht. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg startete schließlich ein Verfahren gegen KenFM, stellte das im Oktober 2021 aber ein, nachdem KenFM verschwunden war.
Auch Onlinemedien dürfen steile Thesen verbreiten und pointierte Standpunkte vertreten. Aber sie müssen sich an die journalistischen Sorgfaltspflichten halten. Denn wer sendet, trägt Verantwortung.
Dabei geht es weder den Landesmedienanstalten noch der Politik darum, unliebsame Meinungen zu zensieren. Auch Onlinemedien dürfen steile Thesen verbreiten und pointierte Standpunkte vertreten. Aber sie müssen sich an die journalistischen Sorgfaltspflichten halten. Denn wer sendet, trägt Verantwortung. Studien zeigen zum Beispiel immer wieder, wie viele Falschinformationen mittlerweile durch das Internet geistern. Erschreckend ist dabei vor allem, dass sich Desinformationen in sozialen Medien viel schneller und häufiger verbreiten als wahre Tatsachen.
Es wurde also höchste Zeit, dass auch Onlinemedien gezwungen werden, seriös zu arbeiten. Denn egal wie viel Medienkompetenz die Nutzerinnen und Nutzer des Internets haben – davor, auf Falschinformationen hereinzufallen, ist wohl niemand gänzlich gefeit. Es braucht also klare Regeln für alle, die Medien produzieren – online und offline. Nur so können die Konsumentinnen und Konsumenten dieser Medien ein Gefühl dafür entwickeln, wem sie vertrauen können und wem nicht. Das ist die Grundlage für einen differenzierten Diskurs in einer informierten Gesellschaft.