Das erste Monitoring folgt am 30. November 2021.
QAnon auf Telegram
In Deutschland gibt es die größte nicht-englischsprachige QAnon-Gemeinde, die sich um in den USA verbreitete Verschwörungsmythen sammelt. Die Telegram-Gruppe Qlobal-Change ist mit knapp 150.000 Abonnenten der größte QAnon-Kanal. Auch weitere Kanäle stehen dem QAnon-Narrativ nahe. So etwa der Telegram-Kanal Fakten Frieden Freiheit (gut 110.000 Abonnentinnen). Beide Gruppen veröffentlichen täglich ideologisch stark eingefärbte eigene Videos und Podcasts.
Das prominenteste Thema beider Kanäle ist die Corona-Politik der westlichen Länder. In vielen Beiträgen wird die Existenz des Virus abgestritten, häufig geraten einzelne Virologen und Politikerinnen ins Visier der Posts. Beispielsweise wird der britische Virologe Neil Ferguson in einem Beitrag als „Schande“ und als „Lügner“ bezeichnet, wenn er vor der Gefährlichkeit des Virus’ warnt. In einer Meldung wird dem ehemaligen britischen Gesundheitsminister Matt Hancock und dem Parlamentsabgeordneten Luke Evans ein „Genozid“ an älteren Menschen vorgeworfen – die beiden hätten veranlasst, dass während des ersten Lockdowns in Großbritannien hospitalisierten Covid-Erkrankten, die später verstarben, mit Midazolam ein Arzneistoff verabreicht worden sei, der für ihren Tod verantwortlich wäre. In anderen Meldungen wird vor einem angeblichen „Impfzwang“ als Teil eines globalen „Great Reset“ gewarnt. Zudem wird regelmäßig an rechte Diskurse angeknüpft – etwa wenn auf Qlobal-Change der Freispruch Kyle Rittenhouse’ ein Sieg gegen eine „linke(n) Vormacht“ genannt wird. Rittenhouse hatte 2020 auf einem Black-Lives-Matter-Protest in den USA zwei Demonstrierende erschossen und gilt seither als Galionsfigur der extremen Rechten. KW
NachDenkSeiten
Womöglich hatte der ehemalige SPD-Politiker Albrecht Müller ein Projekt vorbildlicher Gegenöffentlichkeit im Sinn, als er 2003 die NachDenkSeiten startete. Er ist nach wie vor Herausgeber. Das Portal hat sich auf den ersten Blick ein journalistisches Profil gegeben. Kern des Blogs: werktägliche „Hinweise des Tages“, eine Art Pressespiegel mit pointierten Kurzkommentaren. Doch Müllers Allianzen sind recht eindeutig. Er sucht die Nähe zu Verschwörungsideologen wie dem nach Antisemitismusvorwürfen gefeuerten rbb-Moderator Ken Jebsen oder Linkssektierern wie dem langjährigen Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm. Müller und die beiden geben sich immer wieder wechselseitig ein Podium. „Weg vom linkssozialdemokratischen Mainstream, hin zum wahnsinnigen Rand“, kommentierte 2015 die taz. Viele Beiträge auf den NachDenkSeiten werben für ein besseres Verhältnis mit Russland. Müller meint zum Beispiel, ohne (den russischen Propagandasender) RTDE „wären wir noch schlechter informiert“. Über China heißt es in einem Gastbeitrag, das Land müsse sich, „was die Menschenrechte als auch was Demokratie anbelangt, nicht hinter dem Westen verstecken“. Herausragendes Thema aktuell ist die Corona-Politik. Mit Kritik an einer angeblichen „Tyrannei der Panikmacher“ der Behauptung von „Hass“ der „öffentlich-rechtlichen Propagandamaschinerie“ gegen Ungeimpfte oder Kritik an einer „bürger- und demokratieverachtenden Politik“ der Bundesregierung befinden sich die NachDenkSeiten hier auf „Querdenker“-Niveau. m.m.
reitschuster.de
Wie bei vielen „alternativen“ Medien auch steht bei reitschuster.de eine Person im Vordergrund: Boris Reitschuster. Der ehemalige Moskau-Korrespondent des Magazins Focus ist heute Blogger und eine wichtige Quelle für Querdenker, Impfskeptikerinnen und Verschwörungsideologen. Während der Pandemie stieg die Reichweite seiner Kanäle rasant: eine Viertel Millionen Abos auf Telegram, über 300.000 auf Youtube. Nach Sperrungen wegen Falschinformationen zu Corona veröffentlicht er außerdem auf Rumble – „im zensurfreien Internet“, so Reitschuster.
Das Hauptthema ist auch hier die Pandemie, die – angezweifelte – Wirksamkeit von Impfungen und die Kritik an Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, vor allem an jenen, die Ungeimpfte betreffen. In einem Wochenbriefing schreibt Reitschuster von einer „aktiv von Medien und Politik betriebene(n) Hetze“ und folgert in einem anderen: „Wir werden in einen mentalen Bürgerkrieg getrieben“. Oft sind es einzelne, aufpeitschende Vokabeln und Überschriften, die den Ton der Texte machen. Wenn zum Beispiel Christian Drosten zum „Staatsvirologe(n)“ wird, zahlt reitschuster.de einmal mehr auf das Konto einer angeblichen politischen Kontrolle von Wissenschaft und Medien ein.
Ähnlich funktionieren auch emotionale Geschichten von vermeintlichen Impfopfern. Ein reißerischer Titel etwa lautet „15-jähriges Mädchen nach Impfung gestorben“. Zwar wird schon in der Unterüberschrift klar, dass die Todesursache „unbekannt“ sei. Für hunderte Telegram-Kommentatorinnen aber stehen die Ursachen bereits fest: Impfung und Corona-Politik. Hier zeigt sich ein Muster: Die Texte verschweigen Fakten oft nicht, doch sie verzerren sie extrem. Bei solchermaßen irreführenden Überschriften und Spekulationen fällt dies aber kaum ins Gewicht. svo
RT DE
„Wir zeigen den fehlenden Teil zum Gesamtbild. Also genau jenen Part, der sonst verschwiegen oder weggeschnitten wird.“ – Mit diesem Anspruch betrat der russische Auslandssender RT 2014 den deutschen Medienmarkt, zunächst mit einem Online-Portal. Russlands weltweite Medienoffensive war eine Antwort auf den Krieg in der Ukraine. RTDE verbreitete die Version der angeblichen Machtergreifung von „Faschisten“ – als Rechtfertigung für Russlands Annexion der Krim.RT sieht sich selbst als eine „Informationswaffe“, wie Chefredakteurin Margarita Simonjan sagte. Ihre Strategie: eine alternative Gegenöffentlichkeit zu schaffen und die „Kämpfer gegen das System“ als Ressource „im nächsten Informationskrieg“ zu nutzen.
Die Berichterstattung zeigt, dass diese Strategie erfolgreich ist. Erst die Flüchtlingskrise, dann der Brexit, aktuell die Corona-Krise: RTDE nutzt die Unzufriedenheit der Menschen und steigert so seine Nutzerzahlen. Rechte Kreise und Pegida-Aktivistinnen, EU-Skeptiker und Kritikerinnen der Corona-Maßnahmen finden bei RTDE eine publizistische Bühne. RTDE steigerte sein Auditorium auf 1,4 Millionen Nutzer im September 2021 und präsentiert sich als „führende alternative Nachrichtenquelle“. Der Verfassungsschutz warnte jedoch vor der Desinformation, die RTDE zu Corona verbreitet.
Auch im November konzentriert sich RTDE auf die Krisen: Flüchtlinge im polnisch-belarussischen Grenzgebiet und die Corona-Pandemie. Die Beiträge kritisieren das harte Vorgehen Polens gegen die Flüchtlinge und sehen ein Versagen der EU-Asylpolitik. Zu Corona verbreitet RTDE, dass die Impfung mit westlichen Vakzinen angeblich schwere Nebenwirkungen und zahlreiche Todesfälle verursachen. RTDE solidarisiert sich mit den „Ungeimpften“ und schürt die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik, während in Russland eine Impflicht für manche Berufsgruppen längst existiert. ssp
Querdenken auf Telegram
Die Querdenken-Bewegung in ihrem Stammland Baden-Württemberg speist sich stark aus dem anthroposophischen Milieu und aus der Alternativ-Szene – das haben die Baseler Soziologen Nadine Frei und Oliver Nachtwey im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung erhoben. Die Wissenschaftler beobachten eine wachsende Radikalisierung der bürgerlichen Mitte durch die Querdenken-Bewegung, mit klaren Verbindungen zur extremen Rechten und der Bereitschaft zur Gewalt. „Grüne wegen Wählerschwund genervt“, kommentierte etwa Querdenken (711 – Stuttgart) aus der Heimatstadt von Gründer Michael Ballweg, „das übliche Bashing“.
Auf dem Telegram-Kanal der Gruppe, mit rund 58.000 Abonnentinnen ihrem wichtigsten Medium, ist im November bemerkenswert, worum es nicht geht: die Ausschreitungen bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen in den Niederlanden und in Belgien etwa. Kaum thematisiert werden auch die zurückhaltende Impfbereitschaft der Deutschen und extrem steigende Inzidenzen. Stattdessen übt sich Querdenken in Selbstverteidigung und feiert eine angebliche internationale Vernetzung von Wien über Zagreb bis Melbourne und São Paulo. Und legt einen Rechenschaftsbericht über die Demonstrationen 2020 vor, die gut eine Million Euro gekostet hätten.
Der Mediziner und Verschwörungsideologe Bodo Schiffmann, eine wichtige Figur in der Coronaleugner-Szene, warnt auf seinem Telegram-Kanal Alles Ausser Mainstream mit 154.000 Abonnenten vor einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. „Die Menschen sterben an den Impfungen“, sagt er in einem Video. Und: Deutschlands „totalitäre Regierung“ vollführe „einen Staatsstreich“. m.m.
Auf1
Auf1 ist ein österreichischer Online-TV-Sender, der seine Unabhängigkeit betont. Er sendet täglich in verschiedenen Videoformaten im deutschsprachigen Raum. Am 31. März 2021 ging Auf1.tv online und hat sich seitdem zu einem bekannten Medium unter Verschwörungsgläubigen entwickelt. Neben der Internetseite verfügt Auf1 über eine Telegram-Gruppe mit mehr als 150.000 Abonnentinnen. Betreiber und Chefredakteur des Senders ist der Österreicher Stefan Magnet. Bis 2007 war er ein führendes Mitglied der rechtsextremen Vereinigung „Bund Freier Jugend“ und steht heute der FPÖ nah. Auf1 findet man unter der gleichen Geschäftsadresse wie Info-Direkt, ein rechtes, pro-russisches Verschwörungs-Magazin, und Wochenblick, ein Online-Medium der Medien24 GmbH, das sich seit Anfang 2021 sehr intensiv und mit einer anti-grünen Spitze dem deutschen Wahlkampf widmete.
Thematisch bespielt Auf1 vor allem die Pandemiepolitik. Der Sender mobilisiert gegen einen sogenannten „Impfzwang“. Wiederholt werden die Covid-Impfungen als „sinnlos“ dargestellt oder sogar als „Mord“. Hierzu werden sogenannte Experten befragt, die zum Beispiel angeblich „tödliche Nebenwirkungen“ einzelner Wirkstoffe und den angeblichen Experimentalcharakter aller Impfstoffe hervorheben. In der Berichterstattung wird häufig auf rechte und verschwörungstheoretische Narrative zurückgegriffen. In einem Bericht über den Zustand der Landwirtschaft etwa heißt es: „Die Globalisten wollen alle Aspekte unseres Lebens kontrollieren und international gleichschalten.“ Diese Entwicklung wird in einen Zusammenhang mit dem „Great Reset“ gestellt, einer verbreiteten Verschwörungserzählung vom angeblichen Plan einer wirtschaftlichen Neugestaltung durch die Covid-Pandemie. KW