Das Projekt „Gegenmedien als Radikalisierungsmaschine“ hat sich ein gutes Jahr mit den sogenannten „alternativen Medien“ beschäftigt. Was haben wir daraus gelernt?
Apolut wurde 2021 aus dem Umfeld von Ken Jebsen gegründet. Die „alternative“ Plattform bietet Anknüpfungspunkte für ein skeptisches bis demokratiefeindliches Publikum.
RT DE wurde 2014 als deutschsprachiger Ableger des russischen Staatssenders RT gegründet. Der Sender folgt der politischen Agenda des Kreml. Aufgrund von Ausstattung und Reichweite kommt RT DE im Feld der „Alternativmedien“ eine Sonderrolle als eine Art Leitmedium zu. Hierbei werden verschiedene Methoden der Desinformation, verzerrte und falsche Darstellungen genutzt. Im März 2022 wurde die Verbreitung von RT europaweit verboten, der Sender ist aber weiter erreichbar.
Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey analysieren in ihrem Buch „Gekränkte Freiheit. Aspekte des Libertären Autoritarismus“ ein Phänomen, das eigentlich nicht neu ist. Damit kippt ein Gutteil ihrer Argumentation. Diskussion des Buches von Marko Martin.
Mitschnitt der Diskussion | Am 29. November 2022 diskutierten unsere Gäste Pia Lamberty, Matthias Meisner, Michael Nattke und Sara Bundtzen über die aktuellen Demonstrationen und antidemokratischen Mobilisierungen und die Rolle der „Alternativmedien“.
Der Onlinesender aus Österreich verbreitet Verschwörungsideologien, Coronaverharmlosung, antisemitische Codes und Rassismus. Damit erreicht er über die rechtsextreme Nische hinaus ein immer breiteres Publikum.
Wie präsent sind antisemitische Verschwörungserzählungen auf den aktuellen radikalisierten Protesten? Was macht konkrete Feindbilder gefährlich? Und welche Rolle spielen „alternative Medien“? Darüber sprachen wir mit FeldbeobachterInnen des Jüdische Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus.
Seit 2010 erscheint das als rechtsextrem eigestufte Hochglanzmagazin Compact – aktuell mit einer Auflage von monatlich (nach eigenen Angaben) rund 40.000 Exemplaren. Begleitet wird das Magazin von thematischen Sondereditionen, einer Webseite mit zusätzlichen Online-Formaten, einem Youtube-Kanal, zwei Telegram-Gruppen und Kanälen in den Sozialen Medien. Der Verfassungsschutz bezeichnete Compact als einen „ideologischen Superspreader, der Verschwörungstheorien eine milieuübergreifende Plattform bietet, sie bündelt, verstärkt und zielgerichtet weiterverbreitet“.
Inhaltlich bedient Compact regelmäßig auch im Kontext aktueller Debatten Verschwörungsnarrative und völkisch-nationale Erzählungen. Gleichzeitig ringt das Magazin um eine breite Anschlussfähigkeit. So wirbt die Oktober-Ausgabe mit einem „Winnetou“-Bild und dem Titel „Staatsfeind Winnetou – Wie die Helden unserer Jugend ausgelöscht werden”. Beides sind Anspielungen auf die jüngst geführte Debatte um den Umgang mit rassistischen Motiven in Karl Mays “Winnetou”-Literatur und deren Verfilmungen – in der emotional geführten Diskussion ging es sowohl um mediale Repräsentation und kulturelle Aneignung, als auch um eine Kritik an nostalgisch aufgeladener Kultur, die von Vielen schmerzlich oder gar als Zensur erlebt wurde. Im Leitartikel „Staatsfeind Winnetou“ schließt sich Compact-Autor Sven Eggers dem Vorwurf der Zensur an und überführt ihn in den Kontext der Coronaproteste und des sogenannten „Heißen Herbst“: „Es reicht! Viele Deutsche sind empört. Hinter die Maske gezwungen, zum Frieren verdonnert und jetzt auch noch genötigt, Karl May (1842 – 1912) zu ächten? Nein! Jetzt erst recht!“ wettert Eggers und vermischt damit drei unterschiedliche, aufgeladene Themen. So wird der Eindruck erweckt, es gehe jeweils darum, den Deutschen gegen ihren Willen etwas aufzuzwingen. So nutzt er die Empörung der Winnetou-Debatte für die Mobilisierung von weiteren, bereits gesetzten Ressentiments und Feindbildern.
Vor dem Hintergrund der Scharnierfunktion des rechtsextremen Magazins und Elsässers wiederholten Aufruf zum gemeinsamen Protest von Rechten und Linken wird Compact oftmals als Querfrontmagazin bezeichnet – ein Narrativ, das für die Selbstinszenierung des Magazins eine zentrale Rolle spielt. So lobt Autor Sven Reuth im Online-Text „Prag: Querfront-Demo gegen Energiepreise“ eine Demonstration in Prag mit 70.000 Demonstrierenden im September, auf der sowohl Rechte wie Linke vertreten gewesen seien. Er schreibt: „Es ist der erste ganz große Weckruf eines europäischen Volkes gegen die von den eigenen politischen Eliten herbeigeführte Energiepreisexplosion.“ In der beschriebenen Demo sieht er bereits den von rechten Akteuren propagierten „heiße(n) Herbst“ realisiert. Im Artikel „Es geht nicht mehr um Ideologien“ der aktuellen Printausgabe spielt Chefredakteur Jürgen Elsässer darauf an, wenn er schreibt: „Wenn wir einen Heißen Herbst wollen, dann müssen wir mit den Gangstern in unserer Regierung Tschechisch reden.“ Er fordert ein „breite(s) Bündnis aus dem Volk – ungeachtet ideologischer Trennungen aus der Vergangenheit“. Als Teil dieser Bewegung sieht er extreme Rechte von Björn Höcke bis Martin Sellner, Querdenker, Linke wie Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht sowie sogenannte „alternative“ Medien „mit dem Flaggschiff Compact an der Spitze“. KW
RT DE bleibt im Oktober seiner Linie treu, in Deutschland den Zusammenbruch des Systems zu prophezeien und den Unmut der Bürger zu schüren. Mit weiterem Verlauf des Ukraine-Kriegs werden die Töne allerdings immer schriller. Viele Texte haben die Stoßrichtung, die Wut der Menschen auf die Sanktionen zu lenken. Dabei wird Russlands Rolle als Verursacher des Krieges und Aggressor ausgeblendet. „Ein System, das auf Angst basiert, ist zum Scheitern verurteilt“, titelte RT DE etwa und meint damit das gesellschaftliche und politische Gefüge. Der gesellschaftliche Zusammenhalt und eben dieses System würden sich „weiter nach und nach in Luft auflösen“. Autor Tom Wellbrock führte aus: „Im Osten Deutschlands zeichnet sich etwas ab, das das Potential zu großem, flächendeckendem Widerstand hat.“ Die Unzufriedenheit nehme zu, weil die Bürger Angst hätten, ihre Meinung öffentlich zu sagen und ihre Kritik nicht ernst genommen werde, behauptet Wellbrock. Er sieht das „Ende einer Wohlstandsgesellschaft“ gekommen. Die Ursache dafür seien „fatale politische Entscheidungen“, womit er vor allem die „vermeintliche Solidarität mit der Ukraine“ meint.
RT DE steht an der Seite der Proteste, die sich gegen die Sanktionen gegen Russland und Regierungen richten. Über Demonstrationen in Frankreich und Deutschland wird wohlwollend berichtet. Die Sanktionen werden als Ursache der Energiekrise dargestellt, wenn es beispielsweise heißt: „Diese (die Sanktionen, Anm. d. Red.) schlagen wie ein Bumerang zurück: Es droht eine Energiekrise bedingt durch Gasknappheit.“ Dies ist eine sehr eigenwillige Interpretation, da Gas nicht zu den von der EU sanktionierten Gütern gehört. Die Rolle des Energiekonzerns Gazprom, der bis Ende August 2022 die Gaslieferungen drosselte und dann komplett einstellte, wird nicht erwähnt: Die Gasknappheit wurde von Gazprom mit Rückendeckung der Putin-Führung gezielt herbeigeführt. Mit zahlreichen Beiträgen wird nun die „Energiearmut in Deutschland“ beschrieben und die Unzufriedenheit der Menschen geschürt. Für Russland hingegen ist die Rolle des Opfers vorgesehen, wenn RT DE-Autorin Dagmar Henn beispielsweise über philosophiert, dass die „Feindseligkeit Russen gegenüber“ an „die Beschreibung schwarzer Sklaven“ erinnere. ssp
„Die Umwandlung einer freiheitlichen Demokratie in eine Gesinnungsgesellschaft“ – dies drohe derzeit laut Boris Reitschuster in Deutschland. In einem Interview mit der Zeitung Junge Freiheit, einem Sprachrohr der Neuen Rechten, erläuterte er: „Meine Angst ist, dass wir die realen Gefahren völlig unterschätzen. Weil wir ganz im Bann einer Vergangenheit mit Konzentrationslagern stehen und immer auf das katastrophale Maximum starren und deshalb vergessen, daß Autoritarismus nicht erst dort anfängt.“ Dass die Freiheit nicht „schlagartig“ sondern „meist stückchenweise stirbt“, würden wir deshalb nicht sehen, so der Corona-Blogger.
Boris Reitschuster war Moskau-Korrespondent des Focus und machte sich in den vergangenen Jahren als Stichwortgeber für Querdenker, Impfskeptikerinnen und Verschwörungsgläubige einen Namen. Mit irreführenden Framings etwa erweckt er den Eindruck, dass Impfungen gefährlicher seien als eine Covid-Infektion.
Sein Steckenpferd ist noch immer die Kritik an Coronamaßnahmen und das Anzweifeln der Wirksamkeit von Impfungen, die der Blogger häufig in den Kontext einer angeblich gescheiterten Regierung stellt. Die derzeitigen Demonstrationen, die insbesondere im Osten Deutschlands von einer Vielzahl rechtsextremer AkteurInnen begleitet werden und Themen auch vorheriger Bewegungen aufnehmen, beschreibt er entsprechend positiv. „Der Protest richtete sich gegen hohe Preise, die Corona-Politik, den Ukraine-Krieg und die Energiepolitik“, so Reitschuster. Unter dem Titel „90.000 Menschen gingen gegen die Regierung auf die Straße ...und unsere Medien verschweigen es eisern“ unterstellt er etablierten Medien, diese Zahlen – gesammelt wiederum von der Jungen Freiheit, wie Reitschuster lobt – zu unterschlagen. Eine Erklärung liefert er auch: Dem sei so, weil die Proteste sich „nicht gegen die Kritiker der Regierung, sondern gegen die Regierung selbst“ richteten – „Also so, wie das mal üblich war, bevor Angela Merkel unser Land in einen demokratischen Tiefschlaf versetzte und eine schleichende DDR-isierung einsetzte.“
Direkte Aufrufe zu Demonstratioen gibt es nicht. Dennoch geht das Blog häufig auf die Demonstrationen ein, betont deren Wichtigkeit und Größe. Und auch im verlinkten Shop kann man sich mit Hoodies, Fahnen und Demo-Merch mit der Aufschrift „Herbst 2022 – Ich glaub es geht schon wieder los…“, „Spaziergänger“ oder „Game Over“ eindecken.
Verächtlichmachungen des Gesellschaftssystems von „DDR-isierung“ über „Gesinnungsgesellschaft“ bis „regierungstreue Medien“ sowie Halbwahrheiten, die im Kontext der Proteste Stimmung gegen Medien, Politik und Entscheidungsträgerinnen machen, schließen direkt an jene Narrative an, die Reitschuster während der Pandemie groß machten. Ob „Wie weit will Karl Lauterbach noch gehen?“, „Steht schon bald die Impf-Polizei vor der Tür?“ oder „Die nächste Verschwörungstheorie bewahrheitet sich. Nach ‚Grundimmunisierung‘, ‚vollständiger Impfung‘ und ‚Booster‘ kommt jetzt das Impf-Abo!“ – auf Telegram sind die Coronabeiträge weiterhin die beliebtesten.
Ein anderes, einst sehr präsentes Thema, sucht man indes vergeblich. Der russische Angriffskrieg, den der ehemalige Moskau-Korrespondent beinah als Solitär der „Alternativmedien“ und zum Unmut vieler Follower, konsequent verurteilte, kommt nur noch am Rande vor. svo
Im Interview spricht der Soziologe Matthias Quent über die Gefahr der derzeitigen Proteste, die Rolle von rechten AkteruInnen und „Alternativmedien“, sowie antiökologische Bewegungen und den „Klimarassismus“, über den er ein Buch geschrieben hat.
Der österreichische Onlinekanal Auf1.tv versteht sich als “der erste wirklich zu 100% unabhängige und alternative TV-Sender im deutschsprachigen Raum”. Seit 2021 verbreitet er über seine Webseite, Youtube und Telegram täglich Beiträge im Nachrichtenstil. Inhaltlich bedienen sich die Beiträge regelmäßig Verschwörungserzählungen, sowie völkischer und extrem rechter Narrative. Ein Format, das scheinbar Erfolg hat: Auf Telegram verbucht der gut ein Jahr alte Sender über 220.000 Abonnenten – Tendenz steigend. In Österreich werden Auf1-Beiträge auch über den Lokalsender RTV im Fernsehen ausgestrahlt. In den letzten Monaten expandierte der Sender unter Chefredakteur Stefan Magnet, der für seine Verbindungen in die rechtsextreme Szene bekannt ist, nach Deutschland. Seit Juli gibt es eine Berliner Redaktion mit Martin Müller-Mertens, ehemaliger TV-Chef des rechtsextremen Compact-Magazins, als Hauptstadt-Korrespondenten. Aber auch auf der Straße wird Auf1 sichtbarer. Im August startete der Sender eine Werbekampagne mit LKW-Bannern mit der Aufschrift „Hier rollt die Medien-Revolution“, die laut eigener Angabe für zwölf Monate durch Österreich und Deutschland fahren sollen. Und auch bei den Protesten in Deutschland sind immer wieder Luftballons und Plakate des Senders zu sehen.
Ist im vergangenen Jahr die Coronapandemie Hauptthema gewesen, zeichnen aktuell immer mehr Beiträge Katastrophenszenarien, die zur Blaupause für den Protest gegen ein angeblich dysfunktionales politisches System in Deutschland und Österreich werden. Der Beitrag “Katastrophenschutz: Ist Deutschland überhaupt auf irgendeinen Ernstfall vorbereitet?” zum Beispiel beschreibt ein hypothetisches Kriegsszenario in Bild und Ton, dem die deutsche Regierung nicht gewachsen sei und folgert: “Im Kriegsfall wäre Deutschland genauso schlecht dran wie ein Entwicklungsland“. Es gebe zu wenige Bunker und mangelnde medizinische Notfallstruktur, desolate kritische Infrastruktur, Mangel an Nahrungsnotreserven und Notbrunnen. „Und dafür trägt der Deutsche mit die höchste Steuerlast der Welt. Das ist nicht nur eine Schande, sondern beschwört geradezu sprichwörtlich Katastrophen herauf.” Auch Interviews mit vermeintlichen Experten wie “Obmann der Obdachlosen Hilfsaktion: ‚Die Armut steigt rasant an!‘“ und “Gerald Grosz: ‚Regierung führt Wirtschaftskrieg gegen eigene Bevölkerung‘“ (via Exremnews) warnen vor Szenarien wie Massenarbeitslosigkeit und massenhafter Verarmung. Im Interview “Eike Hamer: ‚Massenarbeitslosigkeit kommt – im nächsten oder übernächsten Jahr!‘“ setzen Eike Hamer und Moderator Bernhard Riegler eine möglicherweise bevorstehende Inflation in den Kontext des „Great Reset“ – ein unter Verschwörungsgläubigen verbreitetes Szenario, das eine politisch orchestrierte gesellschaftliche Umgestaltung beschreibt. Hamer verbindet diese Verschwörung mit dem Willen zum Widerstand, er sagt: “Diese Leute (der Mittelstand, d. A.) werden sich – meines Erachtens – radikalisieren. Warum? Weil diese Krise eben nicht von Gott gegeben kommt, sondern bewusst, aktiv und wissentlich von der Politik aus Berlin und Brüssel herbeigeführt ist”.
All diese Beiträge bedienen Ängste um aktuelle Debatten zu steigenden Energie- und Lebenshaltungspreisen im Zusammenhang mit den Wirtschaftssanktionen gegen Russland und lenken sie gegen bereits eingeführte Feindbilder – ein Thema, das diesen Herbst und Winter die Coronapandemie zur Mobilisierung ersetzen und die Bildung einer neuen Querfront, wie sie insbesondere von rechter Seite beworben wird, befeuern kann. Der Auf1-Beitrag “‘Rechtsextrem – na und?‘: Deutungshoheit wird zunehmend in Frage gestellt” lässt Demonstranten von rechter und linker Seite zu Wort kommen, wirbt aber zwischen den Zeilen für eine Verbindung beider. Im Text zum Video heißt es: “Um Proteste zu diffamieren, nutzt das Polit- und Medienkartell Totschlagbegriffe wie rechtsradikal, um Unbedarfte von einer Teilnahme abzuhalten. Doch spätestens mit dem Widerstand gegen das Corona-Régime verloren derartige Beschimpfungen, ihre einschüchternde Wirkung, nicht zuletzt deshalb weil rechts zu sein, ja schließlich nichts unanständiges ist.“ KW
Zuletzt wurde von Rechtsextremen wie dem Compact-Chef Jürgen Elsässer zum „Wut-Winter“ zu einem Schulterschluss von Ultrarechten, „Querdenkern“ und sogenannten „alternativen Medien“ bis zu „selbstdenkenden Linken in der geistigen Richtung von Sahra Wagenknecht“ aufgerufen. Wie verhalten sich Portale mit linker Historie wie die NachDenkSeiten vor dem Hintergrund einer möglichen Protestwelle gegen Regierungspolitik und Ukraine-Krieg zu einer solchen mutmaßlichen Querfront?
Von der Großdemonstration mit der AfD am 8. Oktober in Berlin, bei der die Kampagne „Unser Land zuerst!“ gestartet wurde, kommentierte das Blog nicht. Florian Warweg indes, der vom russischen Propagandamedium RT DE zu den NachDenkSeiten gestoßen ist, berichtete ausführlich über einen von linken Gruppen organisierten Protest „Für Heizung, Brot und Frieden“ am 5. September in Berlin, bei dem auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen vor der Grünen-Parteizentrale auftrat. Warweg zitiert Dağdelen mit den Worten: „Manchmal sagen sie, wir sind Rechte, manchmal sagen sie, wir sind ‚Putin-Trolle‘. Wir sind nichts von dem. Wir sind Demokraten, die hier das Recht auf Versammlungsfreiheit praktizieren und gegen die Ampel-Regierung protestieren.“
Mehrfach gaben die NachDenkSeiten zuletzt auch einem „Forum für Demokratie und Freiheit“ eine Bühne – einer Gruppe, die in Plauen im Vogtland Demonstrationszüge gegen die Energie-Politik organisiert und laut Medienbericht ein Ende der „bösartigen Sanktionen“ gegen Russland fordert. Im Oktober zitierte das Portal die Aktivistin Moreen Thümmler, eine Heilerziehungspflegerin: „Die über Jahrzehnte aufgebauten Mauern sind noch in vielen Köpfen vorhanden, Ost-West, Links-Rechts. Wir sind vor allem eins: Menschen! Eine Gemeinschaft!“ Schon im August hieß es in einem Beitrag auf den Nachdenkseiten affirmativ, Thümmler habe mit ihrer Rede in Plauen die Zuhörer berührt.
Was die NachDenkSeiten nicht erwähnen: Der Hauptorganisator der Gruppe, David Thiele, wertet das demokratische System als solches ab, indem er über Parteien sagt, sie seien „generell beschissen und zum Kotzen“, „geistiger Müll“, „Gift“ und würden die Gesellschaft spalten. Zu den 21 Zielen des Forums gehört auch die Forderung nach Auflösung des Bundestages und der Bundesregierung. Auch soll die Gruppe nach einem Bericht des MDR die Mehrheit des Bundestages als „Volksverräter“ bezeichnen, bei den Protesten wurden auch Fahnen der rechtsextremen Kleinpartei „Freie Sachsen“ gezeigt. Während die NachDenkSeiten der Gruppe ein Podium bietet, beobachtet etwa das Kulturbüro Sachsen bei den Plauener Protesten und den Organisatoren „klare Reichsbürger-Rhetorik“.
Lob spenden die NachDenkSeiten regelmäßig Sahra Wagenknecht, der früheren Vorsitzenden der Linken-Bundestagsfraktion – für ihre Positionen jenseits der Partei-Linie.
Während die NachDenkSeiten sich lange gegen rechte Positionen und die AfD abgegrenzt haben, finden nun auch Positionen der rechtsradikalen Partei Zustimmung. Nach der Niedersachsen-Wahl im Oktober betonten die NachDenkSeiten, die AfD habe als einzige Partei die Position der Bundesregierung zu Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen „im Kern kritisiert“, deshalb solle man den Wählern der Partei „nicht ihre demokratische Gesinnung absprechen“. Jens Berger schrieb in einem Kommentar, „die Fremdenfeindlichkeit und die reaktionären Wertevorstellungen der AfD“ seien „schlimm“. Rhetorisch fragte er: „Aber ist eine Politik, die auf einen nuklearen Holocaust in Europa zusteuert, nicht sogar noch schlimmer?“ Und müsste nicht auch der Erfolg der „Kriegstreiberpartei“ Die Grünen Anlass zur Sorge geben? In der „existenziellen Frage“ rund um Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen jedenfalls liefere die AfD „eine progressive friedenspolitische Antwort“ und habe damit „ein Alleinstellungsmerkmal“. Schon im April hatte Berger eine Bundestagsrede des AfD-Politikers Alexander Gauland, in der es um die Lieferung von Waffen an die Ukraine ging, als „Höhepunkt der Debatte“ gelobt. Sein Text war überschrieben: „Diese Rede hätten wir gerne vom Bundeskanzler gehört – doch sie kam von Alexander Gauland“. m.m.
Im Oktober beschäftigen wir uns mit dem sogenannten „Wutwinter“ und den Darstellungen von Krise und Proteststimmung in „Altrnativmedien“.
Der Demokratische Widerstand mobilisiert seine Anhänger zu zahlreichen Protestaktionen im bevorstehenden „Wutherbst“. Dabei entzündet sich der Zorn der Redaktion traditionell an der Gesetzgebung zur Corona-Krise. Die Zeitung wird von den Organisatoren der „Hygienedemos“ in Berlin herausgeben. Der Titel vom 17. September etwa bedient das Narrativ von der Elite, die ihre Herrschaft gegen das Volk ausübt, wenn es heißt „Deutschland sagt ‚Nein‘ zum Putschgesetz von Pharma- und Kriegslobby“. Das Anti-Corona-Narrativ wird hier mühelos mit dem Vorwurf der Kriegstreiberei an die Adresse der deutschen Regierung verbunden – unter Auslassung der russischen Aggression. Chefredakteur Anselm Lenz sieht in einem Kommentar die Ähnlichkeit des Infektionsschutzgesetzes mit Gesetzen von 1933, mit deren Hilfe die Nationalsozialisten Deutschland in einen totalitären Staat verwandelten.
Aktuell wird auch die Unzufriedenheit der Menschen über Inflation und steigende Energiepreise genutzt. Der Demokratische Widerstand solidarisiert sich dabei mit russischen Positionen zum Krieg gegen die Ukraine. Demnach ist nicht Russlands Angriff auf die Ukraine Ursache der Krise, sondern die gegen Russland verhängten Sanktionen. „Die Erkenntnis, dass wir von unseren Regierungen bewusst mit selbsterzeugten Krisen in die Armut und Abhängigkeit getrieben werden, ist bei vielen Menschen noch nicht angekommen“, schreibt Autorin Nadine Strotmann. Allerdings: „Immer mehr Menschen spüren in der selbstgemachten Energiekrise, dass die Sanktionen nicht Putin schaden, sondern uns.“ Dies ist ein wenig verklausulierter Hinweis auf die Anfang September beginnenden Proteste wie in Leipzig – als Auftakt zum „heißen Herbst“.
Die Redaktion des Demokratischen Widerstands übt demonstrativ den Schulterschluss mit rechten Kreisen, etwa wenn AfD-Politiker wegen ihrer Teilnahme an den Protesten vor dem Bundestag am 8. September als „Die letzten Demokraten“ im Titel eines Berichts gewürdigt werden. Die Ausgabe vom 30. September erscheint mit der Warnung auf schwarzem Grund: „Stop! Oder ich werde rechts.“ Ein Bündnis von rechten und linken Kräften wurde vor allem von rechter Seite beworben. Beim Sommerfest des rechtsextremen Magazins Compact war auch Chefredakteur Anselm Lenz eingeladen. Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer führte in seiner bei Youtube hochgeladenen Rede aus, dass die Proteste noch wirkungsvoller würden, wenn sich der rechtsextreme Flügel der AfD um Björn Höcke mit linken Kräften um Sahra Wagenknecht sowie Anselm Lenz und den Querdenkern verbänden. ssp
„Alternativmedien“ integrieren die Energie- und Klimakrise problemlos in ihre verschwörungsideologischen, elitenfeindlichen oder apokalyptischen Weltbilder.
Im Interview spricht der Journalist Markus Sulzbacher über „Alternativmedien“ in Deutschland und Österreich und wie sie die Demokratie gefährden. Verschwörungserzählungen etwa wirken seit der Coronapandemie aus „alternativen“ Kanälen bis weit in die Gesellschaft.
„Klima-Alarmismus“, „Klima-Diktatur“, „Mega-Blackouts“ – in „Alternativmedien“ sind die Berichte über Klima- und Energiekrise verwoben und auch mit weiteren apokalyptischen Botschaften verbunden. Um den Klimawandel selbst geht es selten, die Enegriekrise erscheit stattdessen als Blaupause für antidemokratische Mobilisierungen. In diesem Monat schauen wir uns an, was zur „Klima-Diktatur“ geschrieben wird.
Auf den Coronakrieg folgt der Klimakrieg: Die Regierungen schaffen neue Krisen, um mit sinnlosen Maßnahmen die Bevölkerung zu drangsalieren und ihre eigene Macht zu festigen – das ist das Narrativ, das beim Schweizer Nachrichten-Blogs Uncut-News zum Klimaschutz verbreitet wird. Der Telegram-Kanal hat im September 88.800 Abonnenten, Dutzende Posts am Tag führen meist auf die Website – und von dort oft weiter auf andere Quellen. Der Schweizer Herausgeber verspricht „unabhängige News und Infos“. Die namentlich nicht genannten Produzenten der Seite bezeichnen sich selbst als überparteilich und finanzieren sich durch Spenden.
Der Beitrag „Stell Dir vor, es ist Wetterkrieg – und keiner merkt’s“, zuerst erschienen im DudeWEblog, einer Plattform, die auch Verschwörungserzählungen verbreitet, spricht von einem „hybriden Krieg“ gegen die Bevölkerung: „Wenn du technisch dazu in der Lage bist, das Wetter als Waffe zu missbrauchen und es geheim bleiben soll, dann musst du den Menschen erklären, dass es einen Klimawandel gibt“, heißt es auf einem Bild des Beitrags unter dem Pseudonym Capricornus.
Ein anderer ebenfalls übernommener Beitrag prognostiziert, dass die „Covid-Lockdowns zu Klima-Lockdowns werden“. Darin erläutert der US-amerikanische Autor Doug Casey im Interview, dass „die COVID-Hysterie als hervorragendes Mittel erwiesen hat, um die Öffentlichkeit überall in Angst und Schrecken zu versetzen. Verängstigte Menschen fordern ‚starke‘ Führer und strenge Kontrollen. Das ist ein Geschenk des Himmels für die Art von Menschen, die in die Regierung gehen und nach einem Vorwand suchen, um sich selbst zu erhöhen und mehr Macht zu erlangen.“ Der Beitrag ist auf der Uncut-News-Website in den Kategorien „Bevölkerungskontrolle“ und „Neue Weltordnung“ erschienen. Er stützt demnach die Verschwörungserzählung, wonach die Mächtigen im Hintergrund eine neue Weltordnung schaffen und Krisen nutzen, um die Menschen zu kontrollieren. Doug Casey wird als „legendärer Investor“ vorgestellt, der erklärt, wie die Leser angesichts dieser Bedrohungen „überleben können“. Das Interview wurde zuerst auf Caseys Blog „International Man“ veröffentlicht. Casey bezeichnet sich selbst als Bestseller-Autor und libertären Philosophen. ssp
Trotz EU-Sanktionen, welche die Verbreitung aller RT-Inhalte europaweit verbieten, ist der russische Auslandssender weiter erreichbar. Suchmaschinen zeigen die Webseiten mit neuen URLs an, der Livestream des TV-Programms ist mit VPN zugänglich. Der deutschsprachige Ableger RT DE agitiert seit langem gegen Klimaschutzmaßnahmen. Im Fokus der Kritik stehen die Partei der Grünen und Aktivisten wie Greta Thunberg. Diese Akteure würden so etwas wie einen neuen „Kult“ schaffen, dabei aber die Interessen der Menschen vernachlässigen, so der gängige Vorwurf. In dem Beitrag „Es ist ein Kult! Klima, Gender, Migration – der grüne Tanz ums goldene Kalb“ etwa wird den Grünen vorgeworfen, „eine neue Ersatzreligion, bestehend aus Angst, Repression, Buße und Erlösung“ zu schaffen. RT-Autor Kaspar Sachse schreibt: „Wer heute die Grünen wählt ‘bekommt‘‚ in erster Linie zwei Dinge: 1. Höhere Preise auf Strom, Sprit, Flugreisen, Fleisch- und Lebensmittel, 2. Totalitarismus, Unfreiheit und jede Menge persönliche Einschränkungen“. Die Bürger, so wird gespiegelt, würden aber trotzdem die Grünen wählen, da sie und die Klimaaktivisten ihnen Angst machten und mit ihrer „grünen Heilslehre“ Erlösung versprächen.
Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine schürt RT DE Ängste, indem es den Niedergang Deutschlands prophezeit und die Nutzer mit überzogenen Krisenszenarien verunsichert. Angesichts der Krise seien Klimaziele zweitranging, so die Botschaft. Über den Grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wurde berichtet, er habe sich „trotz des infolge der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine drohenden Zusammenbruchs der Lebensmittelversorgung in Deutschland gegen eine Abkehr von den Klima- und Naturschutzzielen ausgesprochen.“ RT DE titelte: „Özdemir: „Hunger ist kein Argument für Abstriche bei Biodiversität und Klimaschutz“. Damit suggeriert RT DE, dass der Grünen-Politiker bei seiner Klimaschutzpolitik das Leiden der Menschen billigend in Kauf nehme.
Scharf kritisiert wird auch der ebenfalls grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck mit seinen Bemühungen, neue Energiequellen für Deutschland zu erschließen und die Abhängigkeit von russischem Gas zu beseitigen. Es ist offensichtlich, dass diese Politik den Interessen Russlands als Energieexporteur entgegenläuft. Rainer Rupp, RT-Autor und ehemaliger DDR-Spion, beispielsweise polemisierte jüngst gegen Habeck – mal als „grüne(n) Russenhasser“, mal als „grüne(n) Klima-Ideologe(n)“. Seine Reise nach Katar sei ein „Riesen-Flop“, der Besuch in Kanada eine „ähnliche Luftnummer“, schrieb Rupp. ssp
Rubikon ist ein eher linkes Portal. Doch wenn es um die Klimapolitik geht, ähnelt seine Masche verschwörungsideologischen Plattformen, die der radikalen Rechten zuzuordnen sind. Auch bei Rubikon werden Corona und der Klimawandel in vielfacher Weise miteinander verwoben. Es ist eine enge Beziehung, die auch Matthias Quent, Christoph Richter und Axel Salheiser in ihrem neuen Buch „Klimarassismus“ feststellen, das sich mit dem Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende befasst. Dort heißt es in der Einleitung: „Ihnen zufolge beruhen die freiheitseinschränkenden Maßnahmen auf gezielter ‚Plandemie‘ und sind Teil eines größeren Plans zur Einführung einer ‚Klimadiktatur‘“.
Bei Rubikon ist in Beiträgen aus den vergangenen Monaten einerseits mit Blick auf Corona die Rede von einer „Fake-Pandemie“, anderseits mit Blick auf die Klimakrise von einer „Klima-Drohkulisse“. Das Virus sei „nie eine echte Bedrohung für die Gesellschaft“ gewesen, die Krise lediglich „inszeniert“, heißt es. Die „Pandemieerzählung“ ist in dieser Logik nur eine Ideologie. Sie sei, „wie das Beispiel Corona zeigt, ein hervorragendes Mittel, um die Menschen bereitwillig, ja enthusiastisch ihrer eigenen Versklavung entgegen gehen zu lassen“. Auch mit Blick auf die Klimakrise wird von einer „Ideologie des Klimaschutzes“ gesprochen, die von internationalen Organisationen wie dem Weltwirtschaftsforum ausgegeben werde. In einem Ende August erschienenen Text mit der Überschrift „Der falsche Fokus“ heißt es: „Seit Jahren werden wir mit der Horrorvision eines apokalyptischen Klimawandels gefüttert, die uns direkt in den Katastrophenmodus führt.“ An anderer Stelle ist die Rede von Umwelt- und Klimaschützern, die „eine grüne Diktatur propagieren“. In einem im September 2022 erschienenen Text unter der Überschrift „Ideologie und Wirklichkeit“ wird die Pandemie dann in eine Reihe gesetzt mit anderen „großen Erzählungen“ wie Affenpocken, Klimawandel, Krieg oder Inflation, alles letztlich also „Ideologien“, bei denen „besondere Achtsamkeit geboten sei“, verfolgten Sie doch „genau diesen Zweck: Macht und Herrschaft über die breite Masse, die unterworfen und versklavt werden soll.“ Aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wird in dieser Kreml-nahen Propaganda von Rubikon folgerichtig ein „ganz und gar nicht umweltfreundlicher Krieg in der Ukraine gegen Russland“. m.m.
Schon vor Jahren gab der Macher des Anti-Spiegel, Thomas Röper, die Linie vor. „Menschengemachter Klimawandel: Wie einig ist sich die Wissenschaft wirklich?“ fragte er in einem Aufsatz Anfang 2020 auf Anti-Spiegel. Und kam zu dem Schluss, dass die Klimadebatte die „erfolgreichste Propaganda-Kampagne in der Geschichte der Menschheit“ sei. Den Deutschen würden Milliarden aus der Tasche gezogen, um die Energiewende, den Klimapakt und die Förderung der Elektroautos zu finanzieren. Eine „auf Unwahrheiten basierende(n), jahrelangen(n) Medienkampagne“ würde dazu führen, dass Deutsche selbst höhere Steuern auf CO2 fordern würden.
Diese Erzählung wird ohne jede Einschränkung immer wieder fortgeschrieben. Im Juli 2022 schrieb Röper über den „Klimawandel als Geschäftsmodell“. Er wies dabei dem US-amerikanischen Unternehmer Bill Gates eine führende Rolle zu, der 2015 einen „ganzen Strauß von Organisationen gegründet“ habe, die sich dem „‘Kampf gegen den Klimawandel‘“ verschrieben hätten. Die Gänsefüßchen sind hier wichtig, denn: „Beim angeblichen Kampf gegen den angeblich menschengemachten Klimawandel ging es nie um den Klimawandel, es ging nur um Geld. Und zwar um richtig viel Geld.“ Es wird der Anschein erweckt, dass die Dringlichkeit des Klimawandels strategisch eingesetzt werde – etwa durch „Panik-Studien der Klima-Lobbyisten“, von denen sich noch keine bewahrheitet habe.
Bestätigt sieht sich das Kreml-freundliche Portal Anti-Spiegel in seinen Thesen durch die verschärften Sanktionen gegen Russland nach Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine, ein „Wirtschaftskrieg gegen Russland“, wie Röper im Mai in einem Text unter der Überschrift „Hurra, Putin hat den Klimawandel abgeschafft!“ meint – ähnlich übrigens wie die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. Eins zu eins gibt der Anti-Spiegel eine eigens übersetzte Analyse der russischen Nachrichtenagentur TASS wieder. Demnach führe ein in der EU diskutiertes Embargo für russisches Öl und Gas dazu, dass schädliche CO2- und Methanemissionen in der Atmosphäre zunehmen.
In Deutschland adressiert Röper die Kritik vornehmlich an die Grünen, die er, wie es im Juli in einer Überschrift hieß, für „politische Lügner“ hält, die „alle Masken fallengelassen“ hätten. Ihren Einsatz gegen den CO2-Ausstoß der Kohlekraftwerke hätten die Grünen seit Beginn des Ukraine-Krieges gestrichen, „denn nun setzen sie im Kampf gegen Russland wieder auf Kohlekraftwerke“. Offen wirbt Röper für den Pipelinegas-Handel mit Russland: „Das russische Gas lässt sich trotz aller Traumtänzerei, die in Medien und Politik verbreitet wird, auf Jahre nicht ersetzen, ohne den Kohleverbrauch zu erhöhen. Entweder glauben die Grünen ihre eigene Geschichte vom CO2-gemachten Klimawandel selbst nicht, oder sie sind bereit, die Welt und Millionen oder gar Milliarden von Menschen zu opfern, um gegen Putin vorzugehen.“ m.m.
Der österreichische Online-Kanal Auf1.TV hat seit Juli auch eine Redaktion in Berlin. Ihr Hauptstadt-Korrespondent ist Martin Müller-Mertens, der zuvor Chefredakteur von Compact-TV beim rechtsextremen Magazin Compact war. Im Interview mit Auf1-Chefredakteur Stefan Magnet, der durch seine Kontakte in die rechte Szene Österreichs bekannt ist, attestiert er der deutschen Politik einen „extrem beklagenswerten Zustand“. Dazu zählt er auch die deutsche Energiepolitik und rät: „Sie könnten natürlich Nord Stream 2 öffnen. Sie könnten die für Deutschland katastrophalen Sanktionen gegen Russland beenden.“ Dahinter steckt eine Mobilisierungskampagne gegen die befürchteten Energiepreiserhöhungen, die gegenwärtig u.a. von rechtsextremen, alternativen und verschwörungsgläubigen Medien unter dem Kampfbegriff „heißer Herbst“ betrieben wird.
Auch Auf1 bespielt dieses Thema regelmäßig und verbindet es mit zum Teil rassistischen Falschmeldungen und Angstmache. So warnt der Beitrag „Alles für den Klima-Wahn: Deutsche sollen in WGs und Massenunterkünften wohnen“ vor einer Wohnungsnot in Deutschland und einer „massenhaften“ Einwanderung von Migranten und Geflüchteten, die der deutschen Bevölkerung ihre Wohnräume wegnehmen würden. Deutsche würden fortan von „Klimawandelpropagandisten“ gezwungen, sich räumlich zu verkleinern und mit anderen zusammenzuziehen. So heißt es im Beitrag: „Oma und Opa, die alleine leben, sollten am besten raus aus ihrem Einfamilienhäuschen und rein in die WG-Käfige, damit kinderreiche Migrantenfamilien in ihr Eigenheim einziehen können.“ Dahinter stecke ein sogenannter „Klima-Kommunismus“, mit dem, wie es im Begleittext heißt, auch im Bereich des Wohnens der „Great Reset im Eiltempo umgesetzt“ werde.
Solche Narrative schließen an die Erzähltradition von rechten und „alternativen“ Medien an, Klimaaktivisten und grüne Politikerinnen als Feindfiguren zu stilisieren und in zum Teil völkische Verschwörungserzählungen wie „Great Reset“, „Gleichschaltung“ und den „Großen Austausch“ der deutschen Bevölkerung einzubinden. So bezeichnet Moderator Bernhard Riegler in den „Nachrichten AUF1 vom 13. September 2022“ die Gefahr der globalen Erderwärmung als „Unfug“. Dies sei eine Erzählung der „Systemmedien“, die zur Bildung von „gewalttätigen und kriminellen Öko-Mobs“ geführt habe. Diese Klima-Aktivisten führten „einen regelrechten Partisanenkrieg gegen die eigene Bevölkerung“. Eine wiederkehrende Feindfigur ist dabei die Aktivistin Greta Thunberg. Aber auch sie sei eigentlich fremdgelenkt von den „Drahtziehern“ hinter ihr, fährt Riegler fort und resümiert: „Europa liegt unter dem Bann einer von Globalisten gesteuerten, zunehmend radikaler agierenden Klima-Sekte, die drauf und dran ist, das Wohl aller zu zerstören. Wenn diesem Treiben einer fanatischen, ferngesteuerten Minderheit nicht Einhalt geboten wird, werden bald Menschenleben in Gefahr sein.“ KW
Das auflagenstarke Magazin Compact verbreitet monatlich rechtsextreme Erzählungen und Verschwörungsmythen. „Klima“ ist dabei ein wiederkehrendes Thema, das zumeist Klimaaktivisten und grüne Politikerinnen zu politischen Gegnern stilisiert.
So zeigt das Cover der September-Ausgabe mit dem Titelthema “Heißer Herbst – Warum die Regierung Angst vor dem Volk hat” den Politiker Robert Habeck hinter den als Gitter erscheinenden Zinken einer Heugabel mit geballten Fäusten konfrontiert. Im Leitartikel beschwört Chefredakteur Jürgen Elsässer einen Herbst voller Proteste und verweist dabei in abschätzigem Ton auf Aussagen der Grünen Außenministerin: „Annalena Baerbock ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Aber sie ist ein guter Sensor für Stimmungen, die andere an sie herantragen und die sie dann mit ihrem naiven Pfannkuchengesichtchen weiterplappert.“ Damit bezieht er sich auf Baerbocks Hinweis auf mögliche Aufstände im Kontext der Energiekrise. An einer Stelle beschwört Elsässer die berechtigte „Angst der Regierung vor dem Volk“, die die Energiekrise nicht in den Griff bekomme, an anderer die „aufflackernde Panik des Regimes“. Bisher stehe die noch in keinem Verhältnis zu den Protesten. „Und doch könnte sich die Situation schlagartig ändern, wenn die Temperaturen fallen und die Preise weiter steigen“, prophezeit Elsässer. Wenig besänftigend konstatiert er weiter: “Niemand in Deutschland müsste im Winter frieren, wenn die Bundesregierung Nord Stream 2 öffnen würde”. Dass viele es angeblich doch müssten, lege allein daran, dass die “BRD-Eliten stur bei ihrem Nein bleiben”. Im Vorwort ordnete Elsässer diese heraufbeschworenen Proteste noch einmal ideologisch ein: „Gut möglich, dass sich die Querfront ganz spontan auf der Straße zusammenfindet.“ Gemeint sind damit keine klassisch linken oder klimaaktivistischen Demonstrationen, sondern vermutlich so etwas wie eine Fortsetzung der Coronaproteste.
Auch Moderatorin Stephanie Eckhardt wertet im Compact-TV-Beitrag “Wahnsinn: Klima-Irre wollen Gasanlagen sprengen!” Klimaaktivismus ab. Innenministerin Nancy Faeser identifiziert sie als politische Gegnerin: Sie habe sich zwar kritisch gegenüber diesem radikalen Aktivismus geäußert, sei aber „ansonsten den Linksradikalen sehr zugetan”. Im weiteren Verlauf ringt der Beitrag um die Diskurshoheit beim Thema Energieversorgung in Deutschland und Protest – Politik und Umweltaktivisten soll das Feld nicht überlassen werden. Jürgen Elsässer und TV-Chef Paul Klemm etwa diskutieren, was Compact und Klimabewegung verbinde, aber auch radikale Proteste von Umweltaktivistinnen. Klemm kommt schnell zu dem Schluss, dass trotz zum Teil gemeinsamer Inhalte hinter Klimaaktivismus eine ganz andere Gefahr stecke: “Diese Leute, die da demonstriert haben, die wollen ja weder das Gas aus Russland noch das Gas von anderswo. Die wollen die komplette wirtschaftliche Selbstzerstörung Deutschlands.” Elsässer stimmt ein. Das Engagement der Klimaaktivistinnen sieht er als eine “außerparlamentarische Mobilisierung der Irren“, die Grünen selbst in der “Rolle des nützlichen Idioten”. All dies ordnet Elsässer in eine mit Verschwörungsnarrativen gespickte große Erzählung ein: “Der Mainstream der Eliten, zu dem auch jetzt Habeck und die mitregierenden Grünen gehören, die wollen den Sieg des Westens in der Konfrontation mit dem Osten, vor allem mit Russland und China. Dem wollen die andere Dinge unterordnen, wie zum Beispiel Klimaziele. Aber der radikale Flügel, wozu die außerparlamentarischen Guerillagruppen gehören, die ihre Freunde im Spiegel haben. Die wollen den Untergang der gesamten westlichen, weißen Zivilisation”. KW
Durch konjunkturelle Themensetzungen und Verschwörungserzählungen verbindet Compact politische Milieus. Dabei werden Themen auf Feindbilder zugespitzt und rechtsextreme Inhalte normalisiert.
Gender-Fragen sind eines der Kernthemen des Bloggers Boris Reitschuster. Sowohl in eigenen Kommentaren als auch in auf seinem Blog veröffentlichten Gastbeiträgen schlägt sich der frühere Focus-Korrespondent in Moskau klar auf die Position der Gegner:innen des Genderns. Erst vor wenigen Tagen durfte dort der Kleinverleger Kai Rebmann, ein ehemaliger Politiker u.a. für die Partei Bibeltreuer Christen, wo überall ein vermeintlicher „Krieg der Gendersternchen“ geführt werde – beispielsweise in öffentlichen Verwaltungen, an Universitäten und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In München solle die „höchst umstrittene (…) Gendersprache“ verwendet oder gar Teil der Ausbildung werden, schrieb Rebmann, und an anderer Stelle, „Gender-Ideologen“ würden an verschiedenen Universitäten nach dem „‘Prinzip Einschüchterung‘“ verfahren. Und: „Wie so oft ist es auch bei der Diskussion um das Gendersternchen eine Minderheit, die der Mehrheit ihren ideologischen Willen aufzuzwingen versucht.“
Der Text reiht sich in Reitschusters Blog ein in generelle Kritik an Initiativen für mehr Diversität und Gleichberechtigung – ob es nun um die zum Christopher-Street-Day im Juli über dem Reichstagsgebäude gehisste Regenbogenflagge geht, die Geschlechtsangleichung von Minderjährigen oder geschlechtergerechte Sanitäranlagen an Universitäten. Dass der Deutsche Fußballbund nicht-binären und Trans-Fußballer: innen erlaubt habe zu wählen, ob sie im Frauen- oder Männersport spielten – oder, wie es auf reitschuster.de heißt „ihr Geschlecht frei wählen“ zu dürfen – mache ihn zum „Wokeness-Weltmeister“, wie Reitschuster auf Twitter zusammenfasst. Rebmann, der sich bei diesem Thema besonders engagiert, empört sich in einem weiteren Gastbeitrag mit dem Titel „Der Fußball im Schwitzkasten der Ideologen“, dass der Fußballverein FC St. Pauli den Genderstern neuerdings auf dem Trikot trägt.
Bemerkenswert ist, wie Reitschuster sich beim Thema „Gender“ regelmäßig gegen die Springer-Presse positioniert. Hier geht es zum Beispiel um die Entscheidung von Ralf Schuler, seinen Posten als Leiter der Bild-Parlamentsredaktion abzugeben – nach eigener Aussage auch gegen einen „zu unkritischen Umgang“ des Konzerns mit der LGBTQ-Bewegung „und eine Richtungsentscheidung der Führungsetage, sich auf die Seite der Queer-Aktivisten zu schlagen“. Reitschuster feiert Schuler als „eine[n] der wenigen standhaften Felsen in der fast alles überschwemmenden Brandung des rotgrünen Haltungsjournalismus“, bietet ihm „journalistisches Asyl“ auf seinem Blog an. Tage später wirft er der Bild-Zeitung plumpes Framing vor. Die Zeitung hatte ein queer-feindliches Transparent von Rostock-Fans gegen „Genderscheiß“ bei einem Heimspiel von Hansa Rostock gegen den FC St. Pauli zum Thema gemacht. Was bitte an diesem Plakat ‚schwulenfeindlich‘ sein solle, fragte Reitschuster auf Twitter. „Viele Homosexuelle haben die Nase genauso gestrichen voll von der #Genderagenda wie Heteros. Man kann diese Kritik teilen oder nicht. Aber verbieten? Wieso manipuliert die #Bild ihre Leser mit so einem plumpen Framing?“
In einem Text über den angeblichen „Great Reset“ schreibt Reitschuster, „große Teile der Wirtschaft bzw. der wirtschaftlichen Elite (…) wollen im Schulterschluss mit linken Aktivisten die Welt umbauen“. Um diese These zu stützen, schlägt er den großen thematischen Bogen, in dem das Thema „Gender“ eine besondere Rolle spielt: „Was nicht in die eigene Ideologie und das Weltbild passt, was den Plänen für eine ‚strahlende Zukunft‘ im Wege steht, das darf nicht sein. Gewalt-Probleme mit Zuwanderern aus fremden Kulturkreisen und Krisengebieten werden deshalb als Phantasien von ‚Nazis‘ verdrängt. Ebenso wie die Tatsache, dass es eben genau zwei biologische Geschlechter gibt. Oder das offensichtliche Scheitern der Energiewende.“ Reitschuster sieht u.a. in der Geschlechterfrage einen „Angriff auf die Grundlagen unserer Kultur (…) insbesondere die Traditionen, und hier vor allem wiederum die Familie“. Eng verbunden mit der These vom „Great Reset“ ist die Verschwörungstheorie vom „Transhumanismus“, einer angeblich von Eliten vorangetriebenen Entmenschlichung. Diese Theorie lässt Reitschuster anklingen, wenn er schreibt: „Es geht – wieder einmal – um die Schaffung eines neuen Menschen. Dazu müssen die kulturellen, religiösen, ja und vor allem auch die geschlechtlichen Wurzeln des Einzelnen aufgebrochen werden – um ihn zu einer Biomasse zu machen, aus der sich der neue Mensch formen lassen kann.“
Kai Rebmann sorgt sich beim Thema „Gender“ nicht nur um Sprachgebrauch, wie sein Artikel auf reitschuster.de mit dem Titel „Medien feiern 10-jähriges Transgender-Model – Die Perversion der westlichen Welt“ zeigt. Die Bemühungen für Gleichberechtigung individueller Geschlechteridentitäten wertet er hier als „Indoktrinierung und Unterwerfung der Gesellschaft in der westlichen Welt“. Mit solchen Äußerungen bedient er das Bild von einer kleinen Elite (hier der „Regenbogen-Community“), die die Mehrheit umerziehen wolle. Trotz herrschender Versammlungs- und Meinungsfreiheit bemängelt Rebmann: „Gefühlt jede Woche findet in irgendeiner anderen Stadt ein Christopher-Street-Day (CSD) statt, so dass das Thema in Medien und Gesellschaft fast zwangsläufig omnipräsent vertreten ist.“ Den selbstverständlichen Umgang mit Vielfalt markiert er als unnormal und problematisch: „Sogenannte ‚Drag-Queens‘, die Vierjährigen Geschichten aus Kinderbüchern vorlesen, gehören längst zur Tagesordnung. Und selbst im Kinderfernsehen wird den Jüngsten unserer Gesellschaft vorgegaukelt, dass eine Geschlechtsumwandlung das Normalste der Welt sei.“ Auch wenn Rebmann in dem Text den Begriff „Perversion“ auf das konkrete Verhalten von Eltern, Medien und Gesellschaft im vorliegenden Fall anwendet, erscheint dessen Verwendung im Zusammenhang mit seiner allgemeinen Gesellschaftskritik wohl kalkuliert. m.m./CB
Das auflagenstarke Magazin Compact verbreitet monatlich rechtsextreme Erzählungen und Verschwörungsmythen. Vor diesem Hintergrund bezeichnete es der Leiter des Verfassungsschutzes in Brandenburg, Jörg Müller, im Dezember 2021 als “ideologische(n) Superspreader für Verschwörungstheorien“. Neben der deutschen Coronapolitik ist “Gender” ein wiederkehrendes Thema, im August 2021 war ihm sogar der Titel des Monatshefts “Die schwule Republik – Eliten, Transen, Gender-Irre” und ein Großteil der Artikel gewidmet.
Im Vorwort “Transhuman und transgender” erklärt Chefredakteur Jürgen Elsässer: “Im Great Reset wird der Humanismus der Moderne vom Transhumanismus ersetzt, und der Homo sapiens muss einer neuen Spezies weichen”. Unter „Transhumanismus“ versteht Elsässer die angeblich gewaltförmige experimentelle Veränderung der menschlichen DNA durch zum Beispiel Impfstoffe. „Statt vor dem Grauen des kalten Rationalismus zurückzuschaudern und wieder nach den Wurzeln des Menschseins und damit nach dem Göttlichen zu suchen, treiben Faust und Frankenstein die böse Entwicklung über sich selbst hinaus“. Diese Kritik an der modernen Gegenwart kommt auf den ersten Blick als alternative, quasireligiöse Sinnsuche daher. Aber hier wird eine anti-modernistische, die Werte der Aufklärung verteufelnde Weltanschauung bedient, die auch aus dem Nationalsozialismus bekannt ist und bis heute rechte Erzählungen bestimmt. Genderdiskurse erscheinen hier als Instrument dieser angeblich gewaltvollen Veränderung: “Die Gender-Ideologie treibt den Transhumanismus voran”, heißt es entsprechend im Editorial.
Dass sich in Deutschland dieser „Regenbogen-Kult“ in der Gesellschaft verbreite, behauptet der Autor Daniell Pföhringer in seinem Artikel “Die schwule Republik”: “So randständig der Queer- und Genderkult erscheinen mag, so tief ist er doch ins Gewebe der Gesellschaft eingedrungen. Längst spielen nicht mehr nur linke Parteien auf der Regenbogenklaviatur, auch die sogenannte Mitte ist vom Homo-Virus infiziert”. In dieselbe Kerbe schlägt Phil Mehrens in “Der Gender-Sprachdurchfall”. Auch “(f)ührende deutsche Intellektuelle sind infiziert von einem Virus, das die Gesellschaft mindestens so stark spaltet wie Covid-19: dem Gender-Erreger“Und Jonas Glaser pathologisiert in “Die Tränen der Transen” Transgeschlechtlichkeit sogar als “Symptom einer Persönlichkeitsstörung”.
Bis zuletzt berichtet Compact regelmäßig zu “Gender”-Themen. Im Gastbeitrag “Genderwahn: Ab 14 kann jeder sein Geschlecht wechseln“ polemisieren Lucia Reimer und Erika Fischer auf Compact-Online gegen den aktuellen Bundes-Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes, das 2023 in Kraft treten soll. Nach ihrer Lesart bedeute der, dass “jeder Bürger ab 14 Jahren Geschlecht ein Mal pro Jahr wechseln können” solle – später im Text heißt es: genauso “wie seine Kleidung”. Eine transfeindliche Interpretation, die Trans- und Interidentitäten als ständig wechselnde Laune darstellt. KW
„Transhumanismus“ ist auch in rechtspopulistischen und „alternativen“ Medien ein Thema. Als mit Verschwörungserzählungen angereichertes Zerrbild einer notwendigen Debatte verbindet er antidemokratische Diskurse.
„Frühsexualisierung“, „angeordneter Kindesmissbrauch“, „Reeducation“, „kultureller Bürgerkrieg“ – zum Thema „Gender“ wimmelt es auf den Kanälen der Ex-Nachrichtensprecherin Eva Herman nur so von Kampfbegriffen.
Seit Herman nach antifeministischen und NS-verharmlosenden Äußerungen aus den Öffentlich-Rechtlichen ausschied, betätigt sie sich an der Schnittstelle von Rechtspopulismus, Verschwörungsideologie und Christentum. Die Erzählung zu „Gender“ sind vor diesem Hintergrund immer ähnlich. Herman und ihr Partner, der rechte Verschwörungsideologe Andreas Popp, vermuten hinter Gleichstellungs- oder Repräsentationsbestrebungen („Woke-Politik“) sowie der Vermittlung von Vielfalt („Abrichtung“) eine verborgene Agenda. In deren Rahmen nutze eine kleine Elite („Regenbogen-Strukturen“) das Gender-Thema, um eigene Interessen durchzusetzen.
Dahinter steht eine radikale Einteilung der Welt in Gut und Böse. Herman etwa behauptet eine „Weltteilung in Sachen Gender-Mainstreaming“. „Das ist genau diese Woke-Politik, die Trump auch anprangert“, sagt Herman in einem Podcast, „und die auch auf großen Widerstand gestoßen ist, als es darum ging auch östlich vom Balkan so was zu installieren. Da hat auch Wladimir Putin die Grenze zugemacht und gesagt: Kommt bei uns nicht in Frage.“ – Ob hier auf den Überfall auf die Ukraine angespielt wird, der in verschwörungsideologischen Kreisen oft als Notwehr gegen Nato und westlichen Lebensstil gilt, ist unklar. Russland mit seiner feindlichen Politik gegen Homosexuelle und Queers wird so jedenfalls zum positiven Gegenentwurf zur westlichen „Woke-Politik“.
Hier wird deutlich, dass es beim Thema „Gender“ selten um konkrete Inhalte geht, es dient als Projektionsflächen für die Ablehnung einer vielfältigen Gesellschaft, die geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung einschließt.
Die etablierten Medien, ohnehin ein festes Feindbild, werden regelmäßig für vielfaltsoffene Sendeformate gescholten. Popp sieht in diesem Ansatz eine „verbrecherische, kindesverachtende Politik dieser öffentlich-rechtlichen Medien“. Im gemeinsamen Podcast spricht Herman von der Verantwortung der Beteiligten und spezifiziert: „das ist ein schwerer seelischer Schaden, es ist eine Verwirrung, die bei den Kindern herbeigeführt wurde, die sie aus ihrer natürlichen Identität als Person, als Junge, als Mädchen, als gesundes natürliches Kind herausholen sollen, um diese Kinder zu destabilisieren in Seele, Geist und Körper.“ Die Sorge um das Kindeswohl ist eine bekannte Diskursstrategie in rechtsextremen Kreisen und unter christlichen Fundamentalistinnen, um den Druck auf Institutionen und Eltern zu erhöhen und ihr Podium für LGBTIQ+-feindliche Inhalte zu vergrößern. Auch Herman und Popp nutzen dies gezielt.
Und immer wieder wird nicht nur an die Verantwortung der Zuhörerinnen für das Kindeswohl im Herman’schen Sinne appelliert, sondern auch jenen gedroht, die „Gender“-Themen weitertrügen. Popp zählt auf: Lehrer, Richter, Staatsanwälte, Intendanten, Reporter – sie alle würden irgendwann den Trümmerhaufen erkennen, „den sie hinterlassen haben, und dann dramatisch dafür geradestehen müssen.“ svo
Der österreichische Online-TV-Sender Auf1.TV möchte sich stärker auf Deutschland konzentrieren. Dies sagte Chefredakteur Stefan Magnet, bekannt für seine langjährigen Beziehungen in die rechtsextreme Szene, im Juli in einem Auf1-Beitrag. Darin stellte er den Berlin-Korrespondenten vor: Martin Müller-Mertens, zuvor TV-Chef beim rechtsextremen Compact-Magazin. Die redaktionelle Expansion solle „ein oppositionelles breites Milieu“ informieren und anderen „Menschen überhaupt erst die Möglichkeit [geben] aufzuwachen“, so Müller-Mertens.
„Erwachen“ steht bei Auf1 vermutlich für die Empfänglichkeit für Verschwörungserzählungen und Narrative der extremen Rechten, die der Sender trotz vornehmlich bürgerlicher Rhetorik bedient. Das wird beispielsweise in Berichten über „Gender“, sexuelle Gleichstellung oder geschlechtersensible Sprache deutlich, Themen, die bei Auf1 häufig unter Schlagwörtern, wie „Gender-Wahn“ und „Genderismus“ – einem antifeministischen und rechtspopulistischen Kampfbegriff – verhandelt werden. Darunter werden Gleichberechtigungsforderungen von zum Beispiel Homosexuellen oder Frauen als Verweichlichung der Gesellschaft verunglimpft.
Auf diese Weise argumentiert auch der Beitrag „Genderismus und Feminismus: Westliche Männer sind verweichlicht“ und führt als Beweis dafür eine US-amerikanische Studie an, die belegen soll, dass die Stärke des Händedrucks von Männern seit den 80ern abgenommen habe. „In kaum einem Land hat man das Soldatentum so sehr verteufelt wie in Deutschland. Jetzt möchte man aber die Wehrpflicht wieder einführen, um eventuell gegen Russland in den Krieg zu ziehen“, heißt es dort. Den „virile(n) Kämpfer(n), die bereit sind, für diesen Konflikt für Volk und Vaterland ihr Leben zu riskieren“ stellt der Beitrag die angebliche Realität entgegen: „westliche(n) Männer wurden Jahrzehntelang systematisch verweichlicht“.
Als positives Beispiel erscheint hier Russland. Der Beitrag „Russland pfeift auf den Gender-Wahn: Putin bekämpft den Kulturmarxismus“ lobt das 2013 erlassene Gesetz gegen sogenannte „homosexuelle Propaganda“ als „wahre Vernunft (...), die wir von hiesigen in ihrem Gender-Irrsinn gefangenen Politikern längst schon vermissen“.
In einem aktuellen Beitrag wird die ganze Tragweite des Gender-Themas als Teil einer globalen Verschwörung benannt: „Die neue Weltordnung, die immer mehr mit subtiler Gewaltandrohung von den öko-kommunistischen linken Globo-Homo-Eliten durchgesetzt werden soll, beinhaltet nicht nur die Corona-Plandemie und den Klimaschwindel, sondern auch den Transgender-Ideologie.“ KW
Die Autoren des dem Verschwörungsideologen Ken Jebsen nahestehenden Portals Apolut sehen die „Gender-Ideologie“ sehr kritisch bis ablehnend. Autor Paul Soldan beispielsweise schrieb zu den „Verirrungen des Genderismus“. Aus dieser Bewegung, die nach mehr Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Geschlechter strebe, hätten sich „fanatische, teils sogar fundamentalistische Strömungen herausgebildet, die mit den Ausgangsthemen nur noch wenig bis gar nichts mehr gemein haben“.
„In der Gender-Ideologie sollen tatsächliche Naturgesetze ‚ausgehebelt‘ und neue künstliche installiert werden“, schreibt Soldan. Der Autor zieht den Vergleich zum Transhumanismus, der seiner Meinung nach genauso eine „Ideologie“ der „Überwindung des bisherigen Menschseins“ ist. Er fragt, ob das Ziel die „Überwindung von Geschlechtlichkeit und Sexualität“ sei und antwortet selbst: „Dies habe die Entmenschlichung des Menschen zur Folge: Der Mensch als ein von der Gesellschaft sowie der persönlichen Gemeinschaft entfremdetes Individuum, ein isolierter, geschlechtsloser Einzelkämpfer.“ Hier wird der Eindruck erweckt, bei einem Konzept jenseits der binären Geschlechtlichkeit handele es sich um etwas Unmenschliches. Immer wieder knüpft der Autor an den Transhumanismus an, eine von Verschwörungsideologen umgemünzte Theorie nach der das Ziel die Erschaffung eines willenslosen Untertanen sei und in der die „Gender-Ideologie“ als wichtiges Instrument auf dem Weg dorthin erscheint.
Der Autor Hubert von Brunn kritisiert in einem Artikel die vorgebliche „Verhunzung unserer schönen deutschen Sprache“ infolge des „Gender-Wahn(s)“. Als Beispiel führt er die grammatikalisch falsche Verwendung von Gendersternchen mit dem Beispiel „Vorbilder*innen“ an, die er auf der Einladungskarte eines Berliner Museums gesehen habe – Bezug genommen wird hier auf eine Ausstellung zu Feminismus in Comics, die jedoch das „falsche“ Sternchen ganz bewusst im Titel einsetzt.
Doch beim Reizthema „Gender“, der Veränderung von Sprache oder Selbstbestimmungsrechten, und dies ist typisch für das Thema, bleiben die Texte selten stehen. Oft geht es um etwas anderes, nämlich den unterschwelligen Vorwurf eines übergriffigen Staates mit ideologischer Agenda. „Wogegen ich mich wehre, ist, dass selbsternannte Sprachneuerer mir vorschreiben wollen, was ich sagen darf und was nicht“, so schreibt etwa von Brunn zu Debatten über diskriminierungsbewusste Sprache. „Die Schere im Kopf ist das Mordinstrument für jegliche Sprachkultur.“ ssp
„Gender-Ideologie“, „Regenbogen-Agenda“, „Indoktrination“ – wenn es um das Thema Gender, schlagen die Wellen besonders hoch. Über kaum ein anderes Thema wird in sogenannten „Alternativ-“ und rechtspopulistischen Medien abwertender geschrieben. In diesem Monat schauen wir uns an, warum das so ist und was gemeint ist, wenn es um „Gender-Gaga“ geht.
Im Interview beschreibt der Sozialwissenschaftler Holger Marcks, wie politische Haltungen immer stärker aus der reflexhaften Ablehnung des Anderen gebildet werden. Auch für sogenannte „alternative Medien“ gehören grundlegende Gegnerschaft zu etablierten Medien und Systemopposition zum Selbstverständnis.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Aufmerksamkeit für den 2018 gestarteten Blog Anti-Spiegel, der unter einer russischen Domain verfügbar ist, gewaltig erhöht. Laut dem Portal Belltower-News der Amadeu-Antonio-Stiftung verbinden sich in dem von Thomas Röper als „Ein-Mann-Betrieb“ verantworteten Angebot russische Propaganda und Verschwörungsmythen. Der Anti-Spiegel wird dort zu den wichtigsten „Desinformationsmedien“ gezählt. Parallelen gibt es zum Telegram-Kanal Neues aus Russland von Alina Lipp und wohl nicht zufällig arbeiten beide zusammen. Beide präsentieren sich als Alternative zum russischen Auslandssender RT DE, dessen Inhalte nach Kriegsbeginn in der EU verboten wurden. Auf Telegram hatte Anti-Spiegel – Offizieller Kanal zuletzt rund 79.000 Abonnenten.
Stark fokussiert sich der Anti-Spiegel bei seiner Kritik auf die westlichen Qualitätsmedien – in ihnen sieht er ein ineinander verwobenes System, in dem Fakten nicht interessieren. Namentlich dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel – als negativer Bezugspunkt nicht zuletzt Namensgeber des Portals – wird eine „anti-russische Propaganda-Offensive“ unterstellt, er habe sich zur „Pressestelle von Nato und US-Regierung“ entwickelt. „Selbsternannte Faktenchecker“ würden demnach von westlichen Regierungen gefördert – und „hyperaktive(n)“ Stiftungen. Deren Berichte fänden dann Eingang in die hiesigen Medien. Konkret heißt es etwa: „Der Sigrid Lausen Trust finanziert alles und jeden, der Russland doof und die neonazistischen Maidan-Regierungen der Ukraine toll findet und über Soros brauche ich wahrscheinlich nicht viel zu sagen, der ist ohnehin bekannt.“
Röper sieht den Staat im Kampf gegen Kritiker, Menschen, „die eine von der Bundesregierung abweichende Meinung vertreten“, drohten Haftstrafen. Sie könnten folgenlos als „Volksfeinde“ bezeichnet werden. Zudem würden Regierungskritiker „vom Verfassungsschutz beobachtet, also ausspioniert und abgehört“, wie es unter Hinweis auf die neue Kategorie des Geheimdienstes „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ heißt. Der Blogger vergleicht die aktuellen Zustände in Deutschland im Kontext der Coronapandemie mit der Situation zur Machtergreifung der Nazis 1933: „Alle, die den Maßnahmen der Regierung Beifall klatschen oder ihnen gleichgültig gegenüberstehen, sind diejenigen, die auch 1933 Beifall geklatscht oder gleichgültig zugeschaut hätten. (…) Parallelen zu 1933 zu ziehen, ist nicht übertrieben.“ m.m.
Der österreichische Onlinekanal Auf1.TV versteht sich als “der erste wirklich zu 100% unabhängige und alternative TV-Sender im deutschsprachigen Raum”. Chefredakteur ist der durch seine einstigen Verbindungen in die rechtsextreme Szene bekannte Stefan Magnet. Bei Auf1 finden sich zahlreiche Verschwörungsnarrative – unter anderem auch das von einem mächtigen, alles beherrschenden System, das gegen die Interessen des einfachen Volkes arbeite. Dieses System – oder, wie es bei Auf1 auch heißt: das „Corona-System“ – stecke zum Beispiel hinter dem in Österreich wieder abgeschafften sogenannten Corona-„Impfzwang“, berichtet Magnet in einem Nachrichtenbeitrag. Darin bewertet er die Rücknahme der Impfpflicht als einen “große(n) Sieg” der Demonstrationen und „alternativen Medien“: “Der Widerstand der Freiheitsbewegung, die seit zwei Jahren jede Woche unermüdlich auf den Straßen unterwegs ist, hat das System nicht frei walten und schalten lassen. Die gewaltigen Menschenmassen in Österreich, Deutschland und der Schweiz und weiter dann in ganz Europa und auf der Welt haben dem System einen Riegel vorgeschoben.” Damit sei jedoch der Kampf gegen das System keinesfalls beendet. Vielmehr müsse man, laut Magnet, mit Rückschlägen rechnen – „das System“ nämlich mache einen Schritt zurück und dann „bei günstiger Gelegenheit zwei Schritte nach vorne“ – und sich diesen entgegenstellen. “Es wird ein heißer Herbst werden. Doch (...): Die Herrschenden fürchten sich vor einem Bürgerkrieg”, heißt es in dem Beitrag.
Zum Widerstand ruft auch ein Beitrag gegen die Einführung von smarten Stromzählern in Privathaushalten auf. Im TV-Interview “‘Smartmeter’. Die neue Totalüberwachung kommt heimlich über den Stromzähler” warnt der Elektrotechniker Fritz Loindl vor einer umfassenden Überwachung der Bevölkerung als Teil einer größeren „Agenda“ und davor, dass der Netzbetreiber “mehr Befugnisse (habe) als die Polizei.” Als Profiteure dieser Überwachung sieht er Akteure der freien Wirtschaft – Konzerne wie Google oder einfach “die Milliardäre“, wie Bernhard Riegler von Auf1 ergänzt – und der Politik. So betreibe laut Loindl der ehemalige österreichische Bundeskanzler Christian Kern mit seiner Ehefrau eine Firma, die diese Daten auswerte. Nahezu ausweglos mache dieses Überwachungsszenario, dass die Verursacher kaum zu greifen seien. “Überall ist halt niemand zuständig. (...) Und leider entscheiden die meisten Dinge sehr wenige Menschen, die gar nicht gewählt sind”, fährt Loindl fort. „Die Schlinge geht zu“, spitzt Riegler zu. Als einziger Ausweg erscheint auch hier eine engagierte Masse an durch Alternativmedien aufgeklärten Bürgern, die sich zur Wehr setzten. KW
Geheime Kräfte dominieren das Weltgeschehen und sind für die Masse der unwissenden Bürger verborgen. Nach diesem verschwörungsideologischen Muster „entlarven“ die Autor/innen der Onlineplattform Apolut ein hinter allem stehendendes „System“, das verschieden benannt wird. Der Leser wird damit zum Mitwisser einer verheimlich verborgenen Wahrheit. Im Format „The Wolff of Wallstreet“ etwa schreibt Ernst Wolff: „Diese globale Gleichschaltung zeigt, dass es eine Kraft gibt, die mehr Macht hat als jede der zurzeit etwa 200 Regierungen auf unserem Planeten. Diese Kraft hat einen Namen: Es handelt sich um den digital-finanziellen Komplex. An seiner Spitze stehen auf der Digitalseite die fünf größten IT-Konzerne der Welt: Apple, Alphabet, Amazon, Microsoft und Meta, früher Facebook, und auf der Finanzseite die größten Vermögensverwalter, BlackRock und Vanguard.“ Die IT-Konzerne, meint Wolff, bildeten „eine neue Weltmacht“.
Konsens bei Apolut besteht darin, dass dieses System eine Bedrohung für die Menschen darstelle: Der „digital-finanzielle Komplex“ sei durch die Konzentration von Macht und Geld gezwungen „immer autoritärer und diktatorischer zu handeln“, behauptet Wolff.
Die Maßnahmen gegen die Coronapandemie werden in dieser Logik häufig als Krieg gegen die Bevölkerung interpretiert. Die Autorin Runa Ranelli etwa behauptet im Artikel „Krieg gegen den Körper als Wirtschaftsfaktor“, einige Wirtschaftszweige produzierten „Waffen“ – im Krieg gegen das Coronavirus waren das „Masken, Tests, Impfungen“ mit entsprechenden „Kollateralschäden“ –, um daran zu verdienen. Dies lehnt Ranelli ab: „Wie kommen wir von einem System, das Krieg als Wirtschaftsfaktor braucht, in ein System, in dem Frieden herrschen kann?“, fragt sie.
Auch Christian Hamann meint, dass Krieg und Gewalt „systembedingt“ seien. Dies sei der Grund für den Krieg in der Ukraine und nicht etwa der Angriff Russlands: „Die Ursachen und Zusammenhänge haben nur randlich mit der Ukraine und Russland zu tun, umso mehr aber mit dem westlichen System.“ Entsprechend sieht Hamann als Verursacher das westliche Militärbündnis Nato, das er als „inoffizielles Machtinstrument einer Geldaristokratie“ kennzeichnet. Hamann warnt vor den Konsequenzen zum Beispiel der Rückeroberung der Krym: eine „selbst heraufbeschworene atomare Apokalypse“. ssp
„Das System“ kommt in sogenannten „alternativen“ Medien sehr häufig vor. Aber was ist damit gemeint? In unserer Juni-Ausgabe widmen wir uns der Behauptung, dass nicht zufällig geschehe und ein komplexes System im Interesse einiger Weniger gegen die Mehrheit der Bevölkerung arbeite.
Das Spektrum reicht von rechts bis rechtsextrem: Auf dem Telegram-Hauptkanal von Querdenken (711 – Stuttgart) aus dem Stammsitz, werden neuerdings Videos von Julian Reichelt, dem ehemaligen Chefredakteur der Bild-Zeitung geteilt. Aber auch zum Beispiel Posts und Texte von Tichys Einblick, vom „Querdenkeranwalt“ Ralf Ludwig oder vom rechtsextremen Compact-Magazin. Misstrauen wird zum Beispiel systematisch gestreut gegen öffentlich-rechtliche Medien. Aber der Hauptfeind, wenn es um die Auseinandersetzung mit „dem System“ geht, ist aktuell das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Im vor wenigen Tagen vorgestellten Jahresbericht 2021 des Verfassungsschutzes taucht erstmals der neue Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ auf, geschaffen im Kontext der Coronaproteste, die aus Sicht des Geheimdienstes nicht immer in die klassischen extremistischen Kategorien wie den Rechtsextremismus fallen. Reichelt etwa stellt in einem von Querdenken geteilten Post fest, die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser „betreibt eine Art Wahrheitsministerium beim Inlandsgeheimdienst“ und „überwacht deutsche Staatsbürger, die die Regierung zu scharf kritisieren“. Anwalt Ludwig bestreitet eine „Anschlussfähigkeit“ der „Querdenker“ für Extremisten und gibt Tipps zu Bußgeldbescheiden, die etwa wegen des Verstoßes gegen Versammlungsauflagen bei Coronaprotesten verhängt wurden. Compact sieht, weil ihm vom Verfassungsschutz das Ziel eines Sturzes des vermeintlichen „Regimes“ vorgeworfen wird, die „Pressefreiheit in Gefahr“. Unisono solidarisieren sich die so vernetzten Akteure mit angeblich unter Generalverdacht gestellten Bürgern – und ziehen zugleich staatliches Handeln ins Lächerliche.
Die von Michael Ballweg gegründete Organisation Querdenken hat zuletzt in der Szene der Coronaleugner und Impfskeptiker an Relevanz verloren. Radikaler noch als Querdenken selbst geben sich auf Telegram viele Gruppen, die aus der Bewegung entstanden sind. Nachdem ein Arzt in Leverkusen wegen der Ausstellung von zahlreichen falschen Impfattesten inhaftiert wurde, teilt FreiSeinFreiburg auf Telegram ein Posting des Querdenken-Anwalts Markus Haintz, der schreibt: „Das Régime macht mit seinen Einschüchterungsversuchen weiter.“ Und der Coronaleugner Bodo Schiffmann verbreitet auf seinem Kanal Alles Ausser Mainstream die Forderung von Prof. Mark Crispin Miller, dass, sich die Massendemonstrationen jetzt auf die Medien konzentrieren sollten. Sie hätten sich „der Volksverhetzung zum GENOZID SCHULDIG“ gemacht, „weil sie diejenigen dämonisieren, die sich nicht haben ‚IMPFEN‘ lassen“. m.m.
Im „System“ sind die Fronten klar: Eine auf Eigennutz bedachte Elite hat die Macht an sich gerissen – entrechtete Menschen stehen dem wehr- und schutzlos gegenüber. So vereinfacht der Demokratischer Widerstand, Organ der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ rund um die in verschwörungsgläubigen Kreisen populären Coronaverharmloser Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp, komplexe gesellschaftliche Strukturen. Die Autoren schaffen ein Bedrohungsszenario, das die Leser zum Protest mobilisieren soll. Der Aufmacher der ersten Juni-Ausgabe etwa spricht im Kontext der Coronakrise von einem „Krieg gegen die Bevölkerung“. Die Bürger würden zu Befehlsempfängern degradiert, eine Tendenz, die sich auch in einer als verordnet dargestellten Solidarität mit der Ukraine fortsetze. „Die Menschen haben gelernt, wer jetzt nicht kuscht, wird verleumdet, geschlagen, verhaftet und verliert seine Rechte“, heißt es im Aufmacher. Es wird unterstellt, dass die Politik systematisch die Interessen der Bürger missachte und sie belüge: „Mit ‚Frieden‘ meinen sie Krieg und Aufrüstung. Beim Wort ‚Demokratie‘ denken sie an sich selbst und ihre Posten. Mit ‚Freiheit‘ ist gemeint, dass Regierung und Konzerne machen können, was sie wollen.“ Die über allem schwebende Warnung: Mit ihrem verantwortungslosen Handeln rissen eben diese Regierung und Konzerne die Menschen in den Untergang.
Die Systemkritiker des Demokratischen Widerstands erwecken den Eindruck, dass die Demokratie nur eine Fassade sei und sie selbst die „wahren“ Demokraten. In Wahrheit nämlich sei die Gewaltenteilung längst aufgehoben, postuliert etwa Autorin Anke Behrend. „Seit zwei Jahren haben sich alle drei Gewalten zu einem Machtmonopol verschmolzen und den Rechtsstaat ad absurdum geführt“, heißt es im Untertitel ihres Beitrags. Ähnlich sieht es der Leiter des Wirtschaftsressorts Hermann Ploppa: Die Ampel-Regierung sei „katastrophal“, aber auch Oppositionsführer Friedrich Merz nur ein „Insolvenzverwalter der Demokratie“. Merz, so wird der Anschein erweckt, vertrete vor allem die Interessen US-amerikanischer Oligarchen in Deutschland. In einem weiteren Beitrag beschreibt Ploppa, wie „die Superreichen wie Elon Musk und Jeff Bezos“ die Macht an sich reißen, indem sie „Politiker, Medien, Wissenschaftler“ kauften. Ploppa greift ein für radikale Systemkritiker der „alternativen“ Medien typische Verschwörungstheorie vom „Great Reset“ auf. Der „Great Reset“ sei „das schwarze Loch, in dem alles verschwindet (…). Entmachtung und Entkernung der Staaten. Massenverelendung. Ein gigantisches Kartell vernichtet alles“ – so wird es schon im Titel zu Ploppas Beitrag zusammengefasst. Um den vermeintlichen Untergang zu stoppen, rufen die Herausgeber Sodenkamp und Lenz ihre Anhänger zu Großdemonstrationen auf. ssp
Das vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Compact-Magazin hat nach eigenen Angaben eine Auflage von monatlich 40.000 Exemplaren. Inhaltlich bedient es regelmäßig Verschwörungs- und völkisch-nationale Erzählungen. Vor diesem Hintergrund nannte der Verfassungsschutz Brandenburg Compact einen „ideologischen Superspreader, der Verschwörungstheorien eine milieuübergreifende Plattform bietet, sie bündelt, verstärkt und zielgerichtet weiterverbreitet“.
Auch apokalyptische Narrative sind zunehmend zu finden. So ist die Mai-Ausgabe mit dem Titel „Blackout – Kein Strom, kein Gas, kein Frieden“ überschrieben. Dahinter verbirgt sich das aktuell in verschwörungsgläubigen Kreisen breit besprochene Katastrophenszenario eines durch den Angriffskrieg auf die Ukraine drohenden großen Stromausfalls. Chefredakteur Jürgen Elsässer sieht hier eine nationale „Verelendung, wie sie die meisten von uns zu Lebzeiten nicht kannten“. Im beschwört er mit teilweise rassistischen Referenzen eine dystopische Entwicklung, die er mit der Hyperinflation der 1920er vergleicht: „Tatsächlich weist die heutige Situation Parallelen zu den Anfangsjahren der Weimarer Republik auf. Es hat sich ein riesiger Schuldenberg aufgetürmt – damals für die Finanzierung des Ersten Weltkriegs, heute für Asylkosten und Corona-Hilfen.“
Während Elsässer sich auf die deutsche Wirtschaft konzentriert, entwirft Autor Federico Bischoff im Artikel „Blackout – was der Staat plant“ ein Endzeitszenario, das vor allem die Bevölkerung betrifft. Unter den aufstörenden Zwischenüberschriften „Mangelernährung und Hunger“, „Evakuierung von Millionen“ und „Wenn es dunkel wird“ mischt er Informationen aus einer Studie des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Neben der Lahmlegung der gesamten Industrie, des Kommunikationsnetzes und der Lebensmittel- und Wasserversorgung prophezeit Bischoff einen quasi anarchischen Zustand, in dem jeder ums Überleben kämpfe. Er wendet sich dabei direkt an die Leserschaft: „Dann schlägt die Stunde der Plünderer: Bewaffnete Banden ziehen in die reicheren Vororte und hinaus aufs Land. Wenn Sie überfallen werden, sind Sie verloren“. Der Schuldige ist – wie so oft in Compact – der als illegitim dargestellte Staat. So endet Bischoffs Artikel mit den Worten: „Das Volk wäre beim Blackout auf sich selbst gestellt, vom sogenannten Staat verraten und verkauft.“
Als apokalyptische Erzählung versteht Compact diese Inhalte allerdings nicht. Im Heft wird sich dezidiert gegen „religiöse Endzeitvorstellungen“ abgegrenzt, die laut Michael Kumpmann „Hochkonjunktur“ hätten. Im Artikel „Propheten der Apokalypse“ beschreibt er etwa eine Auswahl von Endzeiterzählungen – in der jüdische Glaubensgemeinschaften genauso Platz finden wie der Massenmörder Charles Manson. Kumpmanns Artikel endet mit einem Verweis auf die Black Lives Matter-Proteste in den USA und die militante rechtsextreme Boogaloo-Bewegung, die angeblich beide Seiten unterstützte – „damit es zu möglichst heftigen Ausschreitungen kommt“. KW
Das Portal Apolut warnt in zahlreichen Beiträgen vor dem baldigen ökonomischen und militärischen Untergang Deutschlands. Apolut kommt aus dem Umfeld von Ken Jebsen, der vor allem unter Verschwörungsgläubigen bekannt ist. Auch Inhalte von Jebsens ehemaligem Onlineportal KenFM, sind über die Website weiter abrufbar. KenFM war offline gegangen, nachdem die Medienanstalt Berlin-Brandenburg 2021 ein Verfahren wegen Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht eingeleitet hatte. Die Unterstützung für die Ukraine im Krieg und die Sanktionen gegen Russland seien für Deutschland schädlich und zerstörerisch, so ein auch auf Apolut weit verbreitetes Narrativ. Die Autoren Friedhelm Klinghammer und Volker Bräutigam beispielsweise kritisierten in einem Artikel mit dem Titel „Habeck wird Deutschland ruinieren“ Wirtschaftsminister Robert Habeck scharf. Interessant ist die Geschichte der beiden Autoren: Der ehemalige Redakteur der Tagesschau, Bräutigam, und der damalige Mitarbeiter des NDR, Klinkhammer, waren mit Kritik an den etablierten Medien bekannt geworden, in ihrem Buch „Die Macht um acht: Der Faktor Tagesschau“ kritisierten sie die ARD-Nachrichtensendung. Auch Apolut greift immer wieder auf die Kritik der sogenannten Mainstreammedien zurück und stellt sich selbst als unabhängige Alternative dar.
Bei Apolut werfen die Autoren Habeck vor, dass er mit dem geplanten Öl-Embargo gegen Russland die Öffentlichkeit täusche: „Er verkauft seine Zuhörer für dumm. Er drängt die deutsche Wirtschaft in den Abgrund.“ Die Darstellung, die deutsche Regierung sei eine Marionette der USA, die hinter dem Krieg gegen Russland stünden, ist weit verbreitet und auch in diesem Artikel zu finden. Klinghammer und Bräutigam bezeichneten Habeck als einen „waffenschiebende(n) US-Lakai“, der statt Frieden die Eskalation von Gewalt „gegen die Interessen breiter Teile der Bevölkerung“ propagiere und damit den dritten Weltkrieg provoziere. Die Autoren warnen zudem vor explodierenden Preisen für Energie und unterstellen Habeck, er nehme „schwere soziale Schäden einer Rezession“ in Kauf.
Die Gefahr eines dritten Weltkrieges beschwört auch Autor Wolfgang Effenberger in seinem Kommentar „Über den Ukrainekonflikt in den dritten Weltkrieg?“ Effenberger sieht die USA als treibende Kraft, die über Osteuropa und Eurasien „zur Herrschaft über die Welt“ gelangen wolle. Effenberger zitiert dazu den amerikanischen Ökonomen Paul Craig Roberts: „Wenn der Großteil der Menschheit nicht bald aufwacht und diesem Wahnsinn entschlossen entgegentritt, wird Washington die Welt vernichten!“ ssp
Am 19. Mai 2022 haben wir mit unseren Gästen darüber diskutiert, wie „alternative“ Medien die (digitale) Öffentlichkeit verändern und wie wir mit antidemokratischen Tendenzen oder Desinformation umgehen ohne in die Zensurfalle zu geraten. Hier der Mitschnitt zum Nachschauen.
Drei von drei möglichen Balken, starke Verschwörungsneigung – so ordnet Confessio, ein Bildungsangebot der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens, Rubikon ein. Ein, wie es weiter heißt, „tendenziell eher linkes Portal mit sehr starker verschwörungsideologischer Grundstimmung“. Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Belltower News, der Blog der Amadeu-Antonio-Stiftung, laut dem Rubikon während der Coronapandemie zu einer „wichtigen Quelle für verschwörungsideologische Querdenker:innen und Pandemieleugner:innen“ wurde. Sich selbst bezeichnet das Onlineportal als „Magazin für die kritische Masse“.
Trotz dieser kritischen Einschätzungen ist die hinter Rubikon stehende gGmbH als gemeinnützig eingestuft, Spenden sind also steuerlich abzugsfähig. Zuletzt kam der Rubikon-Verlag mit mehreren Büchern, unter anderem adressiert ans „Querdenker“-Milieu, auf die Spiegel-Bestsellerliste – es scheint also gut zu laufen. Das zuständige Finanzamt Mainz verweigert unter Hinweis auf das Steuergeheimnis Auskünfte zum konkreten Fall.
Rubikon beschreibt eine düstere Entwicklung der Welt. Zuletzt hieß es in einem Beitrag über die „Neue Weltordnung“ verschwörerisch: „So lenken ‚Cancel Culture‘, grenzdebiles Framing und algorithmisierte Zensur den Durchschnittskonsumenten davon ab zu erkennen, dass es sich beim herrschenden politischen System in Kombination mit der monopolisierenden Plattformökonomie um die Vollendung von Mussolinis Vision des perfekten Faschismus handelt.“
In einem anderen Beitrag wird unter der Überschrift „Die zukünftige Weltregierung“ behauptet, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO entgegen der Realität am „Pandemienotstand“ festhalte. Es ist die Rede vom „Zustand permanenter Alarmbereitschaft, eine Art endlose Schockstrategie“. Die WHO solle umfassende Machtbefugnisse wider die staatliche Souveränität bekommen. Auf diese Weise werde alle Macht bei einer „nicht gewählten, technokratischen Weltregierung“ gebündelt, die lediglich die Interessen ihrer „Hauptsponsoren“ vertrete. Diese „Schockstrategie“ mache die Menschen „in dauerhaftem Gehorsam und Unterwerfung zu Versuchskaninchen und Zwangskonsumenten von Pharmazeutika“. Jede Grippewelle könne nun zur Pandemie erklärt werden, „wie es ja mit der Schweinegrippe und Corona auch geschehen ist“. Mit in Haftung für diese vermeintlichen Pläne nimmt Rubikon namentlich auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. m.m.
Apokalyptische Erzählungen und Endzeitfantasien sind in „Alternativmedien“ verbreitet. Neben extremen Zuspitzungen wird häufig auf religiös-fundamentalistische Elemente zurückgegriffen. An diesem Punkt werden Verschwörungstheorien zu radikalisierten Verschwörungsideologien.
Im Mai setzen wir uns mit der Apokalypse auseinander. Pseudorealistische Deutungen gesellschaftlicher Realitäten, wie sie in den Gegenmedien weit verbreitet sind, gehen sehr häufig über in Endzeiterzählungen. Teil davon sind Katastrophendiagnosen von Lebensmittelknappheit bis Bürgerkrieg genauso wie große Verschwörungserzählungen von „Great Reset“ bis „Transhumanismus“. Die Botschaft ist: alles wird erstmal immer schlimmer.
Ein dystopisches und apokalyptisches Weltbild ist unter vielen ProtagonistInnen der „alternativen“ Medien in verschiedenen Ausprägungen verbreitet. Gemeinsam ist ihnen, dass der Blick in die Zukunft angstvoll, düster und ohne Hoffnung ist. Trotzdem wird die Apokalypse beinah sehnsuchtsvoll erwartet als gewaltsamer Ausbruch aus dem Status Quo. Dabei gibt es viele aktuelle Abwandlungen der dystopischen Erzählung – die einen wähnen sich in einer Diktatur (zum Beispiel der „Corona-Diktatur“) oder am Rande eines Bürgerkrieges (zum Beispiel ausgelöst durch den „Großen Austausch“ oder provozierte Lebensmittelengpässe), die anderen vor dem Dritten Weltkrieg (zum Beispiel durch eine angeblich vom Westen inszenierte Konfrontation mit Russland), und wieder andere fantasieren die Auslöschung oder Umprogrammierung der Menschheit (zum Beispiel durch Covid-Impfungen oder „Transhumanismus“) usw.
In Deutschland gibt es die größte, nicht-englischsprachige QAnon-Gemeinde. Die Telegramgruppe Qlobal-Change ist mit knapp 140.000 Abonnenten der größte QAnon-Kanal im deutschsprachigen Raum. Mehrmals täglich werden hier übersetzte Nachrichten im Sinne der US-amerikanischen QAnon-Ideologie ausgespielt. Die zentrale Behauptung dahinter ist, dass die Welt von einer einflussreichen satanischen Elite regiert werde, die das Blut entführter Kinder trinke und Teil eines angeblichen “Deep State” – eines weltpolitischen Machtgeflechts hinter den offiziellen Strukturen – sei. Dieser arbeite auf einen gesellschaftlichen Eskalationszustand hin, der im “Great Reset”, einem Umsturz durch eine elitäre Gruppe, gipfele.
In diesem Sinne berichtet das QAnon-nahe Nachrichtenformat X22 Report über den Angriffskrieg auf die Ukraine als Vorgeschmack auf ein gesellschaftliches Endszenario: “In der Ukraine wird uns vorgeführt, was geschehen wird, wenn sie mit ihrer Neuen Weltordnung voranschreiten.” Dabei kritisiert der Beitrag nicht die russische Invasion – vielmehr wird die Ukraine als eigentlicher Aggressor benannt.
Qlobal-Change zitiert auf Telegram einen Tweet des US-amerikanischen Rechtsanwalts Robert Barnes und behauptet: “Die Ukraine prahlt mit der Verhaftung von Menschen wegen ihrer Beiträge in den Sozialen Medien.” Barnes hat 2016 ein Vermögen mit Wetten auf den Wahlsieg Donald Trumps verdient. In seinem Tweet zieht er Parallelen zwischen diesen vermeintlichen Repressionen in der Ukraine und dem kürzlich ins Leben gerufenen US-amerikanischen Gremium Disinformation Governance Board, welches das Ministerium für Innere Sicherheit berät. Qlobal-Change übersetzt Barnes mit folgenden Worten: “Schau dir jetzt den Minister gegen Fehlinformationen an. Dann weißt du, worauf das hinausläuft.”
Gemeint ist Nina Jankowicz, Direktorin des Disinformation Governance Board. Seit ihrer Ernennung wird sie in QAnon-Kanälen als Teil des angeblichen „Deep State“ verunglimpft. Noch die kleinste persönliche Geschichte, wird dabei im Sinne der QAnon-Ideologie ausgeschlachtet. X22 Report etwa berichtete folgendermaßen dies: “Nina Jankowicz, die das neue Wahrheitsministerium des Heimatsschutzministeriums leiten soll, war Mitglied einer Zaubererrockband namens die Maulenden Myrten (The Moaning Myrtels), in der sie über den Sex von toten Kindern mit Harry Potter sang und eine Nummer schmetterten, in der sie Jungen in Mädchentoiletten als gruselig bezeichneten.” Die 2005 im Teeangeralter gegründete Fanfictionband von Jankowicz dient im QAnon-Bericht als Beweis für deren angeblich mangelnde fachliche Expertise – Jankowicz‘ Tweets seien auch schon früher nur “nachgeplapperte Propaganda aus den Fake-News-Medien” gewesen. KW
Wenn Deutschland die Ukraine im Krieg gegen Russland weiter unterstützt, wird dies zum Untergang führen – das ist die alarmierende Botschaft von RT DE. Der russische Auslandssender ist trotz der EU-Sanktionen, welche die Verbreitung aller RT-Inhalte europaweit verbieten, auf Webseiten mit neuen URLs erreichbar, der Livestream des TV-Programms ist mit VPN zugänglich. Wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine seien gefährlich, so der Tenor der meisten Beiträge. RT-Autor Gert Ewen Ungar etwa behauptet, der Pakt der Deutschen mit der Ukraine sei einer mit dem Faschismus. „Die Ideen vom slawischen Untermenschen schwelen noch immer und sind leicht aktivierbar.“ Aufgrund dieser „rassistischen Irrlehre“ sei das Ziel: „Deutschland will Russland wirtschaftlich vernichten, Deutschland will in diesem Krieg siegen.“ Dieser Krieg werde jedoch verloren, so Ungars Prognose. „Die Sanktionen bereiten dem Wohlstand der Deutschen das Grab.“ Über die Faschisten in der Ukraine und ihre deutschen Unterstützer müsste ein neues Nürnberger Tribunal richten, fordert der Autor.
Ein anderer Beitrag auf der Website sieht die Welt „am Abgrund“. Autor Rainer Rupp, ein ehemaliger Stasi-Agent, kritisiert darin den Beschluss des Bundestags zur Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine. Rupp zitiert den ehemaligen russischen Präsidenten Dmitrij Medwedew, der auf dem Messengerdienst Telegram auf die Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg anspielte, als er schrieb: „Schade um das Parlament. So etwas nimmt gewöhnlich ein trauriges Ende.“ Rupp bezeichnet den Beschluss zu Waffenlieferungen als „hochgefährlichen Irrsinn“ und schließt den Text mit dieser Zuspitzung: „Aber bitte keine Panik, es könnte sich ‚nur‘ um einen Atomkrieg handeln.“
In der Berichterstattung von RT DE erscheint Deutschland als Werkzeug US-amerikanischer Pläne zur Schwächung und Vernichtung Russlands. Dazu werden häufig linke Politiker zitiert wie der ehemalige Spitzenpolitiker von Die Linke, Oskar Lafontaine. Lafontaine bezeichnete in einem Beitrag in der Schweizer Weltwoche die Grünen als „gefährlichste US-Vasallen“. „Außenministerin Annalena Baerbock bedient sich schon mal faschistoider Sprache und will Russland ´ruinieren´“, zitiert RT DE Lafontaine. Baerbock stehe in der Tradition der verstorbenen ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, die als prototypische Vertreterin der USA und der aus linker Sicht missglückten „Interventionskriege“ im Nahen Osten besonders scharf kritisiert wird. Lafontaine sieht ebenfalls die Gefahr eines Atomkrieges. RT DE titelte: „Amerika treibt Europa in einen Atomkrieg.“ ssp
„Das ist der klassische Kampf, Licht gegen Dunkel, und der läuft jetzt“, wir befinden uns in einer Transformation, die man „das Jüngste Gericht nennen“ könne, in einem „Endzeitgeschehen“, der „Antichrist“ sei unter uns. Solch düsteren Zukunftsvisionen verbreitet Ex-Nachrichtensprecherin und Verschwörungsideologin Eva Herman mit ihrem Partner Andreas Popp vor allem auf Telegram. Bei mehr als 3000 Beiträgen pro Monat ist es kaum möglich, einen Überblick zu behalten. Doch zwischen all den emotionalisierenden Buzzwords und Werbeeinblendungen bleibt die Stoßrichtung klar: aufpeitschende Krisenszenarien, die sich an politischen Ereignissen entlanghangeln und mit Verschwörungserzählungen versetzte Untergangsprognosen. In stundenlangen Podcasts breiten Herman und Popp sie in allen möglichen Facetten aus.
So behauptet etwa Popp, der „kleine Ukraine-Konflikt“ sei eine „Ablenkung. Das eigentliche Problem läuft ganz woanders“ und Herman sagt, „Wir reden ja über dieses andere große Problem: die Weltwirtschaft, die zusammenbricht durch die kollabierenden Lieferketten“. Während die vorgeblichen Beweise für den Kollaps variieren – mal geht es um Lebensmittelverknappung, mal um die Infiltrierung des Menschen durch Künstliche Intelligenz, um mit Impfstoffen versetzte Salatköpfe – bleibt die Schlussfolgerung gleich: „Das ist der Zusammenbruch. Der Great Reset. Das ist auch das Ziel eben der Leute, die sich die Welt untertan machen wollen.“
Dazu passt das Abendgebt, in dem sich Herman per Audiobotschaft an ihre Follower wendet. In Ansprachen, die wohl als besinnlich daherkommen sollen, geht es um viel um die Seele, um Licht, Karma, Gottvertrauen und „dem Dunkel den Garaus“ zu machen. Denn die Kehrseite der Endzeitszenarien ist die Heilserwartung der Auserwählten, also jener, die sich zum Beispiel nicht weiter von etablierten Medien oder PolitikerInnen einlullen lassen. So kommt es, dass die noch so obskure Verschwörung als Wahrheit, die niemand sehen möchte, präsentiert werden kann. Immer wieder wird an die Einzelnen appelliert, dass es nun an ihnen sei sich zu entscheiden – die Wahrheit zu erkennen, sich zu wappnen, auszuwandern. Dazu passt, dass Herman die passenden Survival-Utensilien selbst auf Telegram bewirbt und gemeinsam mit Popp Seminare anbietet – in Kanada, wohin sie bereits ausgewandert ist. svo
Mit der Coronapandemie entstanden unerwartete Allianzen. Anti-Genderismus diente vielen als argumentative Klammer. Dabei geht es selten um eine politische Debatte. Stattdessen wird „Gender“ pauschal abgewehrt und dient als Projektionsfläche für die Ablehnung einer offenen Gesellschaft.
Seit über zwei Jahren demonstrieren Coronaskeptiker:innen gegen Pandemiemaßnahmen und für „Frieden, Freiheit, Demokratie“. Viele ihrer Positionen tauchen nun in Bezug auf den Ukrainekrieg wieder auf – Sympathie mit einem autokratischen Russland, antiwestliche Haltung, Skepsis gegenüber etablierten Medien und Verschwörungserzählungen.
Im April fand das erste prorussische Autorkorso in Berlin statt – ausgerechnet an dem Tag, an dem die Massaker von Butscha bekannt wurden. Im Interview berichtet Sergej Prokopkin, wie die Telegramgruppen hinter den Korsos funktionieren und wie dort antiukrainische Stimmung angeheizt wird.
Es ist die Light-Version der Fake News: False Balance, falsche Ausgewogenheit. Ein Musterbeispiel dafür ist der Beitrag „Informationskrieg um Butscha-Massaker“ von Bettina Schwarz, der am 8. April auf Epoch Times erschienen ist. Es ist eine recht bizarre Ansammlung von Berichten zu den mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Stadt nahe Kyjiw – und immerhin zwei Quellen werden zitiert, die von einem russischen Massaker ausgehen. Zum einen das US-Verteidigungsministerium, dessen Sprecher von „Gräueltaten“ spricht. Und zum anderen „ein überlebender Ukrainer“, demzufolge die Truppen des tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow in Butscha gewütet hätten.
Die Gegenposition aber wird wesentlich breiter abgebildet und spiegelt die russische Staatspropaganda wieder – zum Beispiel mit Zitaten von Dmitrij Polanskij, Vertreter Russlands bei den UN, des belarussischen Geheimdienstes KGB, einer Erklärung des russischen Militärs, die vom russischen Auslandssender Russia Today (RT) im Wortlaut veröffentlicht wurde, einem RT-Interview mit dem „Ersten Stellvertretenden Informationsminister der Volksrepublik Donezk (DVR), Daniil Bessonow“ und dem Bericht des Kriegsreporters der Komsomolskaja Prawda (eine russische Zeitung, die als Kreml-nah eingeordnet wird). Als weiterer Beleg für die Darstellung des Kremls wird der prorussische Aktivist und selbsternannte „Volksgouverneur“ von Donezk Pawel Gubarew zitiert. All diese Quellen ergeben eine Engführung des Textes hin zu jener Legende, Butscha sei „eine Inszenierung“ mit dem Ziel „medienwirksamer Bilder“ gewesen (wie es Bessonow im Sender RT sagte). Am Ende solcher Berichte, die formal ausgewogen wirken sollen, steht Verwirrung – und der brutal geführte Angriffskrieg wird verharmlost.
Die Linie der Epoch Times ist nicht eindeutig. Tatsächlich bemüht sich das Portal in den vergangenen Wochen seit Beginn des Angriffskriegs am 24. Februar immer wieder auch um journalistische Professionalität. In zahlreichen nachrichtlichen Texten, oft mit internationalen Nachrichtenagenturen wie AFP und dpa als Quellen, wird über den Krieg mit Erklärungen von russischer aber auch ukrainischer Seite berichtet, etwa wenn es um die Kämpfe um den Donbass oder Mariupol geht, Explosionen an der Front oder um die vom russischen Außenministerium behauptete Beteiligung Deutschlands an ukrainischen Biolaboren. Und in einem anderen Beitrag, der am 14. April von der chinesischen Epoch Times übernommen wurde, wird dann auch das Massaker in Butscha klar benannt, nicht nur als „Tragödie“ und „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sondern mit dem Satz: „Es ist ‚Völkermord‘.“ m.m.
Verkehrte Welt: Ausgerechnet die NachDenkSeiten, die immer wieder Verschwörungsideologien verbreiten und einer aktuellen Gegneranalyse-Fallstudie zufolge „einseitige Meinungsmache“ betreiben, beklagen „Methoden der Manipulation“ in den Qualitätsmedien. Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine behauptet Herausgeber Albrecht Müller, solche Methoden würden „ständig“ benutzt. Andere Autoren des Portals beobachten eine „antirussische Kampagne“ und schreiben, die „deutsche Medienlandschaft“ sei beim Thema Ukrainekrieg „endgültig im Rausch“ und an „massiver Propaganda“ beteiligt, die „selbst die Corona-Kampagne übertrifft“. Als Beispiele genannt werden Berichte des Deutschlandfunks, der ARD-Tagesschau, der Welt und des Spiegel. In einem anderen Text heißt es zusammenfassend: „Erstaunlich viele glauben den westlichen Erzählungen.“
Nur ein kleiner Teil der Medienlandschaft wird von dieser Kritik ausgenommen: „einige Alternativmedien“, der in der EU verbotene russische Propagandasender RT, die linksradikale Junge Welt, teilweise auch die Berliner Zeitung sowie Der Freitag. Die Rede ist von „Ausnahmen in dem niederschmetternden Gesamtbild“. Die Erwähnung des Freitag in dieser Aufzählung ist insofern bemerkenswert, weil die Wochenzeitung gerade die Zusammenarbeit mit dem langjährigen Russland-Korrespondenten Ulrich Heyden wegen Kreml-naher Positionierungen einstweilen ausgesetzt hat – der schreibt nun regelmäßig für die NachDenkSeiten. Aktuell unterwegs war Heyden für das Portal Ende März in der international nicht anerkannten „Volksrepublik Donezk“, im „von Russland eroberten Gebiet“. Er berichtet: „Der Blick gleitet über eine friedliche Landschaft mit Hügeln und geeggten Feldern.“ Die Pressereise war vom russischen Verteidigungsministerium organisiert, das alles getan habe, „um Gefahren von uns fernzuhalten“.
Erdrückende Beweise, dass es sich beim Massaker in Kleinstadt Butscha um ein russisches Kriegsverbrechen handelt, ignorieren die NachDenkSeiten. Solche Einschätzungen seien „verfrüht“, die Vorgänge seien „ungeklärt“, und „jede Propaganda und jede Politik“, die auf solchen angeblich „nicht bewiesenen Schuldzuweisungen gegen Russland“ basiere, sei „unseriös“. Der prorussische Kurs zeigt sich auch in der Auswahl der veröffentlichten Leserbriefe. Überwiegend wird dort Verständnis für den Angriffskrieg gegen die Ukraine geäußert. Für die Minderheit erwidert ein Leser: „Das ist doch reine Propaganda à la Kreml! (…) Wozu werden gerade die NDS (NachDenkSeiten, Anm. d. Red.) missbraucht und in welchem Auftrag?“ Albrecht Müller versichert: „Die NachDenkSeiten sind von niemandem beauftragt und werden auch nicht missbraucht. Keiner von uns in der Redaktion hätte das nötig.“ m.m.
„‘Krieg! Wir gegen Euch! Bis zur völligen Vernichtung!‘ Die schrecklichen Ankündigungen von Putins Kriegs-Lautsprecher“, twittert Boris Reitschuster anlässlich des Todes des russischen Ultranationalisten Wladimir Schirinowski. – „Panikmacher Reitschuster! Wie die Politiker und Medien bei Corona!“, antwortet ein Follower. Fast 30.000 Abonnenten hat Boris Reitschuster seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine auf Telegram eingebüßt. Der Grund: ein Teil der Fans nimmt dem Blogger, der populär geworden ist durch pauschale Medien-Schelte und Halbwahrheiten zu Corona, die vehemente Positionierung gegen Kreml-Propaganda und Krieg übel.
Anders als im vergangenen Monat gibt es bei reitschuster.de im April nicht mehr allzu viel zum Krieg in der Ukraine. Aber ein Widerspruch ist dabei Thema: Wie ist zu erklären, dass dieselben Medien, die zu Corona wegen angeblich systematischer Lüge verunglimpft wurden, nun auf einer Linie mit Reitschuster sind? „Besonders dramatisch ist, dass auch Menschen, die in Sachen Corona die Propaganda in den deutschen Medien durchschaut haben, nun der Propaganda der russischen Medien auf den Leim gehen“, schreibt Reitschuster in einem Artikel über die Massaker in Butscha.
Der Erklärungsversuch: Weil die Menschen wegen angeblich systematisch falscher Berichterstattung zu Corona kein Vertrauen mehr in die Medien hätten, fielen sie nun auf die russische Propaganda herein. In einem Gastbeitrag schreibt Ekaterina Quehl, dass „Putins Narrative“ vor allem in Kanäle „alternative“ Medien vermittelt würden, um auf diese Weise „Vertrauen bei kritischen Lesern“ zu gewinnen. „Doch über den Angriff Putins auf die Ukraine berichten sie nichts anderes als der Erste Kanal in Russland“, schließt daraus Quehl.
Doch Reitschuster wäre nicht Reitschuster, wenn er nicht doch einen Weg fände, Deutschland mit dem autoritären Régime in Russland zu vergleichen. Denn so sehr sich deutsche Medienberichte zur Ukraine von den russischen unterscheiden, so sehr ähnelten sich beide Staaten im Umgang mit ihren Kritikerinnen. Reitschuster schreibt, ein „Insider“ habe ihm verraten, die Anregung, ihn aus der Bundespressekonferenz auszuschließen, sei von „‚ganz oben‘“ gekommen. Und er liefert auch eine Begründung: „Nachdem ich schon beim Thema Corona die Regierung (…) zur Weißglut gebracht hätte, habe man beim Thema Ukraine noch mehr Angst vor kritischen Nachfragen gehabt, weil Scholz ein doppeltes Spiel spiele.“ svo
Der österreichische Onlinekanal Auf1.TV versteht sich als „der erste wirklich zu 100% unabhängige und alternative TV-Sender im deutschsprachigen Raum“. Chefredakteur ist der u.a. durch seine Verbindungen in die rechtsextreme Szene bekannte Stefan Magnet. Thematisch stand bei Auf1 im April vor allem der Angriffskrieg auf die Ukraine im Vordergrund. In diesem Zusammenhang verspricht der Onlinesender: „Bei AUF1 finden Sie wie immer Standpunkte, Informationen und Interviews, die die Mainstream-Medien garantiert nicht zeigen“. So wird der Angriffskrieg zu einem angeblichen „Stellvertreterkrieg Russland – USA/NATO“ umgedeutet oder zum Ausdruck des „Kampfes der sogenannten alten gegen die neuen Werte“ und mit Verschwörungserzählungen vermischt. Demnach wurde zum Beispiel die gegenwärtige Energiekriese von den westlichen Staaten absichtlich verursacht. „Die transatlantischen Lobbys, die auf Grund einer perfiden Strategie Europa erschüttern wollen, seien anscheinend ein inoffizielles Bündnis mit linksgrünen Ideologen eingegangen, denen die klassischen, zuverlässigen Energieträger wie Gas, Öl und Kohle ein Dorn im Auge sind, weil sie an die pseudowissenschaftliche Theorie vom menschengemachten Klimawandel glauben“, fasst Auf1 ein Gespräch mit dem „Stromexperten“ Jürgen Meinhart zusammen.
Immer wieder interviewt Auf1 sogenannte Experten, die auch in verschwörungsgläubigen Kreisen populär sind. So sprach Stefan Magnet in einem Auf1-Spezial mit dem deutschen Publizisten Christoph Hörstel. Auf einer Moskaureise, von der er gerade zurückgekehrt sei, so Magnet in der Anmoderation, habe Hörstel sich einen eigenen Eindruck verschafft und „wichtige Persönlichkeiten“ getroffen. Das Interview ist geprägt von einem Putin-freundlichen Blick auf den Angriffskrieg sowie einer systematischen Täter-Opfer-Umkehr. Nicht die russische Regierung benennt Hörstel als Aggressor, sondern die westlichen Mächte: „Der Westen hat Putin provoziert, dieser musste zum Krieg schreiten“. Im weiteren Verlauf des Interviews bezeichnet Hörstel den Krieg in seiner Genese als „Schutzaktion“ und ist damit ganz auf Kreml-Linie. Den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nennt er eine „CIA-Puppe“ die die Eskalation des andauernden Krieges in der Ukraine für eine Wiederwahl brauche. KW
Die „Nachdenkseiten“ als Träger von Ideologie, Scharnier für Verschwörungstheorien und Agenda-Setzer der radikalen Systemopposition.
Seit Anfang März dürfen die Inhalte von RT in der EU nicht mehr verbreitet werden. Zunächst vorübergehend. Während einige dies als notwendigen Schritt sehen, um die destruktive Wirkung russischer Staatspropaganda einzudämmen, warnen andere Stimmen vor einer Einschränkung der Pressefreiheit.
„Neues aus Russland“ – das ist ein deutsch- und russischsprachige Telegram-Kanal, mit dem Alina Lipp mit aktuell 120.000 Abonnenten regen Zuspruch erfährt. Lipp ist eine Amateur-Journalistin aus Deutschland, die nach eigenen Angaben zunächst auf die Krim auswanderte und jetzt im Donbass lebt. Lipp berichtet über den Krieg in der Ukraine, insbesondere im Donbass. Sie bezeichnet sich selbst als „Friedensjournalistin“ und laut einem T‑Online-Artikel als „offizielle Kriegskorrespondentin“ für den staatlichen Medienkonzern Rossija Segodnja, für den sie als freie Mitarbeiterin tätig sei.
Lipp bedient in ihrem Kanal das Kreml-Narrativ vom Kampf Russlands gegen den angeblichen Nazismus in der Ukraine. Die Angriffe der russischen Armee auf ukrainische Zivilisten werden geleugnet, indem sie immer wieder als Inszenierungen der ukrainischen Seite dargestellt werden. Dazu werden angebliche Augenzeugenberichte, Videos und Fotos meist von anderen Social Media-Plattformen wie Facebook und Telegram herangezogen, deren Authentizität nicht überprüft wird. Ein Video, übernommen aus einem russischsprachigen Telegramkanal, kommentierte Lipp zum Beispiel so: „Das ukrainische Militär bereitet eine ‚Leiche‘ vor, vermutlich für künftige ‚schockierende Aufnahmen der russischen Aggression‘, vermutet man in russischen Kanälen.“ In einem weiteren Video, ebenfalls übernommen aus einem russischsprachigen Telegramkanal, behauptete eine Yana aus Mariupol, das ukrainische Militär attackiere in der Hafenstadt Wohnviertel. Im deutschsprachigen Postingtext wird sie so zitiert: „In unserer Nachbarschaft (…) waren alle Geschütze der ukrainischen Soldaten zu sehen, die auf alle Teile der Stadt feuerten und einen russischen Angriff imitierten“.
Mit ähnlichen Beiträgen relativiert Lipp auch die Massaker der russischen Armee in Butscha. Ein Beitrag etwa zeigt Screenshots eines Facebook-Posts mit zwei Fotos einer jungen Frau, ein Porträt, sowie ein Bild auf dem sie leblos auf dem Boden liegt, scheinbar ermordet, auf dem steht: „I was killed by Russian soldiers because I was Ukrainian.“ Dies ist jedoch bereits eine Fälschung, wie man mit ein paar Klicks herausfinden kann. Im Original-Post der abgebildeten jungen Frau wird deutlich, dass es sich um eine Aktion handelt, die auf den Krieg aufmerksam machen soll, der Text dazu lautet nämlich: „Das Foto rechts (der scheinbar toten Frau, Red.) HÄTTE ICH SEIN KÖNNEN. HÄTTE JEDER VON UNS SEIN KÖNNEN“.
Die Gewalttaten der russischen Armee an Zivilisten in Butscha wurden von internationalen Medien verifiziert. Lipp verbreitet auch Nachrichten russischer Staatsmedien, etwa die Äußerung des Kremlsprechers Dmitrij Peskow, der den Abzug der russischen Truppen aus Kyjiw als „Geste guten Willens“ bezeichnete. Damit macht Lipp sich zum Sprachrohr der russischen Führung.
Alina Lipp ist keine Unbekannte. 2019 startete ihr Youtube-Kanal „Glücklich auf der Krim“, darauf folgte „Druschba FM“, wo sie Nato-Kritiker und Akteure wie den Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser interviewte. ssp
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist weiterhin ein dominierendes Thema in „Alternativmedien“. Im April-Monitoring versuchen, nicht nur die großen, sich wiederholenden Narrative zu untersuchen und einzuordnen, sondern auch ganz konkrete, häufig falsche, Behauptungen, Falschinformationen oder Methoden wie False Balancing.
Apolut übernimmt zahlreiche russische Narrative zum Krieg in der Ukraine. Zentral ist die Täter-Opfer-Umkehr, nach der nicht Russland der Aggressor sei, sondern die Ukraine und der Westen, vor allem die Nato. So schreibt etwa Autor Uli Gellermann, dass ein Rückzug der russischen Truppen kontraproduktiv sei, da dies den Krieg zugunsten der Ukraine nur beschleunigen würde. „Zugleich wäre die Ausdehnung und Stärke der Nato-Kriegsmaschine garantiert.“ Seine Schlussfolgerung: Ein Rückzug Russlands würde sogar die nächsten Kriege der Nato vorbereiten. In dieser Logik schließt Gellermann sich der russischen Forderung nach einer Neutralität der Ukraine an, denn dies „könnte den Krieg friedlich beenden“. Auch die Legende von der angeblich von Nazis dominierten Ukraine wird häufig verbreitet. In einem von Friedemann Willemer übernommenen Beitrag vergleicht dieser den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit Hitler, der sein Volk wissentlich in den Abgrund gezogen habe. Selenskyj handele genauso – „im Auftrag des amerikanischen Hegemon“. Und weiter: „Selenski soll möglichst lange grauenvolle Bilder für die Weltöffentlichkeit liefern, damit das angloamerikanische Ziel der Zerstörung Russlands als ebenbürtiger Partner erreicht werden kann.“ Dies nimmt die häufig wiederholte Behauptung der russischen Führung auf, der Westen wolle Russland bedrängen und zerstören.
Ebenso verbreitet Apolut das Narrativ, die Ukraine sei kein echter Staat und die Ukrainer keine echte Nation. Autor Hermann Ploppa bedient in seiner pseudo-wissenschaftlichen Sendung „HIStory“ die Behauptung, die Ukraine sei ein künstliches Gebilde, und spricht dem Staat so letztlich das Recht auf Souveränität ab. Er schreibt: „Doch es wird künstlich eine ukrainische Sprache gezüchtet. Der Versuch, dieses Retortenprodukt auch den im Osten lebenden Ukrainern aufzuzwingen, wird von den Menschen dort energisch zurückgewiesen.“ Um die Leser von Apolut auch über das eigene Angebot hinaus mit der russischen Perspektive auf den Krieg zu versorgen, empfiehlt die Redaktion Plattformen, auf denen der staatliche russische Auslandssender RT DE, trotz des EU-Verbots wegen Verbreitung von Desinformation zum Krieg in der Ukraine weiter genutzt werden kann.
Das Onlineangebot Apolut ist ein Projekt aus dem Umfeld von Ken Jebsen und vor allem unter Verschwörungsgläubigen beliebt. Auf Apolut ist das Archiv von Jebsens ehemaliger Plattform KenFM eingebunden, auch kenfm.de leitet auf Apolut weiter. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hatte 2021 ein Verfahren gegen KenFM wegen Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht eingeleitet – dieses wurde eingestellt, weil das Angebot offline ging. ssp
Direkt zu Beginn des ersten Podcasts nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine führt Andreas Popp mit Eva Herman aus, wie „die großen Tagesgeschehen genutzt werden, um in deren Windschatten (…) Entscheidungen auch gegen das Volk“ vorzunehmen. Konkret gehe es dabei um eine angebliche Verschärfung der Coronamaßnahmen, die durch viele Berichte aus der Ukraine verdeckt werde.
Die ehemalige Nachrichtensprecherin Eva Herman und ihr Partner, der Verschwörungstheoretiker Andreas Popp, betreiben von Kanada aus einen der reichweitestärksten „alternativen“ Medienkanäle. Auf Telegram hat Herman rund 213.000 Abonnenten. Hauptthema des Kanals ist eigentlich die Kritik an den Coronamaßnahmen. Zunehmend prägen aber Erzählungen von sich zuspitzenden Katastrophenszenarien, die angeblich durch eine globale Elite orchestriert werden, den Kanal. Die Coronamaßnahmen wie der Krieg sind in dieser Logik nur eine Station. Lebensmittknappheit, steigende Rohstoffpreise, Lieferkettenzusammenbrüche – hinter all dem vermuten Popp und Herman eine „strategische Abarbeitung einer Agenda“. Mal spricht Herman von angeblichen „Nahrungsmittelengpässen“ in der EU, dann werden Fotos leerer Supermarktregale geteilt oder Werbung für Selbstversorgerutensilien wie Getreidetonnen.
Immer wieder werden neue Aspekte großer Verschwörungen diskutiert. Popp führt zum Beispiel dieses „Gedankenmodell“ aus: Russland wolle die Ukraine vielleicht gar nicht besetzen und Deutschland laufe mit seiner Bereitschaft zu Waffenlieferungen „in eine offene Falle“, Europa werde dadurch „komplett zerrieben“, was wiederum im Interesse der USA sei. Und so steht am Ende wie in so vielen Verschwörungen die Fantasie einer US-dominierten neuen Weltordnung.
„Bereitet euch auf alles Mögliche vor“, warnt Eva Herman in einer Podcast-Folge. Vor dem Hintergrund der ständig wiederholten Verschwörungen gegen die Bevölkerung kann das nur eines heißen: Glaubt niemandem, weder Politik, Medien noch Wissenschaft. Ein fatales und apokalyptisches Weltbild, was auf Dauer das Vertrauen in Demokratie und Gesellschaft erschüttert. svo
Der grundlegende Tenor der Berichterstattung des rechtsextremen Magazins Compact zum Krieg gegen die Ukraine ist Putin-freundlich. So stellt Chefredakteur Jürgen Elsässer gleich im Editorial der März-Ausgabe klar: „Putin hat die Eskalation jedenfalls nicht zu verantworten.“ Stattdessen sieht Elsässer Ursachen für den Kriegsausbruch im „Great Reset“ – einer unter Verschwörungsgläubigen weit verbreiteten Fantasie, der zufolge eine globale Elite zu ihrem Vorteil Katastrophenszenarien orchestriert. Laut Elsässer geht es im russischen Krieg gegen die Ukraine eigentlich darum, die „CO2-basierte Industriestruktur“ zu zerstören und – wie schon durch die angebliche „Corona-Inszenierung“ versucht – „die renditeträchtigen Frankenstein-Technologien der Pharma‑, Nano, Bio- und Genbranche“ an ihre Stelle zu setzen.
Auch die deutsche Bundesregierung habe ihren Teil zum Ausbruch des Kriegs beigetragen, betont Elsässer im Editorial der aktuellen Sonderausgabe mit dem vielsagenden Titel „Feindbild Russland. Die NATO marschiert“. Darin behauptet er: „Immer, wenn die Grünen in die Regierung kommen, gibt es Krieg.“ Und führt aus, Außenministerin Annalena Baerbock habe auf ihrer Reise nach Kyjiv „den Starrsinn der dortigen Regierung an(ge)stachelt“.
In vielen Texten dominiert eine radikal antiwestliche Haltung. Die Ablehnung „europäischer Werte“ und ganz konkret die Ablehnung sexueller und reproduktiver Selbstbestimmungsrechte dient in dieser Logik dazu, den russischen Angriffskrieg zu relativieren. Im Online-Artikel „‘Europäische Werte‘ verteidigen? Nein danke!“ findet es Autor Phil Mehrens „grotesk und verlogen, sich über Putins aggressive Rhetorik zu empören und gleichzeitig klaglos hinzunehmen, dass mit einem zynischen Propagandabegriff wie ‘reproduktive Rechte’ ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bemäntelt wird“. Ähnlich antidemokratische Argumentationen finden sich in einer Interviewreihe mit dem rechtsextremen russischen Theoretiker Aleksandr Dugin in der März-Ausgabe. Im Gespräch mit Alexander Markovics, Aktivist der Identitären Bewegung, warnt er vor dem westlichen Liberalismus als Triebfeder des „Great Reset“: „Die Durchsetzung der westlichen Moderne zog eine Spur der Verwüstung durch unsere Gemeinschaften und führte die Welt in den Abgrund.” Aufhalten könne das nur „Das große Erwachen“ (Titel seiner jüngsten Publikation) und das Abwenden von der westlichen Moderne und ihren Werten. KW
Der Krieg gegen die Ukraine ist zentrales Thema auf den NachDenkSeiten seit dem 24. Februar – wobei, das macht Herausgeber Albrecht Müller in einem Kommentar deutlich, die Formulierung „Putins Krieg“, wie sie in einem folgenden Artikel verwendet wird, als „undifferenziert“ zu gelten habe. Es gibt eine gewisse Uneinigkeit auf dem Portal, ob und wie scharf die Invasion zu verurteilen ist. Dennoch herrscht bei vielen Autoren Verständnis und zum Teil gar Rechtfertigung für das Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor. Schon am Tag des Kriegsbeginns gibt Autor Jens Berger die Linie vor. Er spricht davon, dass die „Invasion der Ukraine durch russische Truppen“ – darauffolgend als „Militäraktion“ umschrieben – „auch für uns überraschend“ gekommen und „klar zu verurteilen“ sei. Aber andererseits: Letztendlich sei die Invasion in der Ukraine das „traurige Ergebnis einer fehlgeleiteten Eskalationspolitik des Westens“. Anstatt eine dauerhafte Friedensordnung zu entwerfen, habe man Russland eingekesselt und gedemütigt.
Ebenfalls am 24. Februar nennt Oskar Lafontaine, ehemaliger Vorsitzender von SPD und Die Linke, den „Angriffskrieg“ in einem Gastbeitrag einen „brutalen Bruch des Völkerrechts“, der auch durch die „völkerrechtswidrigen Kriege der USA und ihrer Verbündeten“ nicht zu rechtfertigen sei. Lafontaine warnt vor Sanktionen, welche lediglich die „Doppelmoral und Heuchelei“ der westlichen „Lügengemeinschaft“ offenbaren würden. Herausgeber Müller sieht Russland „in die Enge getrieben“. Er skizziert eine Allianz zwischen „transatlantischen Dumpfbacken“ wie Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und CDU-Chef Friedrich Merz, die gemeinsam mit den „weitgehend mit ihnen korrespondierenden Medien“ den Zusammenhang zwischen der Entscheidung Moskaus und dem „Vorlauf transatlantischer und auch militärischer ‚Tätigkeit‘ in der Ukraine“ nicht wahrnehmen wollten.
In unterschiedliche Richtungen weisend und mit jeweils vorsichtiger Distanzierung der Redaktion ragen zwei Texte heraus: Der schottische Aktivist Craig Murray äußerst zwar „großes Verständnis für die russischen Sicherheitsbedenken“, warnt andererseits vor einem Regimewechsel in Kyjiv und der Installierung eines Putin-freundlichen „Marionettenregimes“, das aus seiner Sicht nur durch Autoritarismus und extreme Repression aufrechterhalten werden könne. Tobias Riegel, regelmäßiger Autor der NachDenkSeiten, dagegen liegt voll auf der propagandistischen Linie des Kremls – und möchte den russischen Kriegseinsatz „teilweise als Notwehr einordnen“. m.m.
RT DE verkehrt in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine die Tatsachen in ihr Gegenteil: Nicht Russland sei der Aggressor, sondern die Ukraine, der Westen und insbesondere die Nato. So schrieb RT-Autor Ulrich Heyden, dass der Westen „sich beharrlich geweigert (habe), Russland Sicherheitsgarantien zu geben“. Die angebliche Bedrohung Russlands durch die Nato ist ein ständig wiederholtes Narrativ: „Putin sieht die Ukraine als Aufmarschgebiet der NATO. Deren Raketen werden auch ohne NATO-Mitgliedschaft der Ukraine näher an Russland heranrücken“, behauptet Heyden. Am Tag des Angriffs auf die Ukraine, dem 24. Februar, leugnete Putin, dass Russland plane, die Ukraine zu besetzen. Der Angriff wurde als „Sonderoperation“ bezeichnet. „Russland wolle lediglich die Menschen im Donbass schützen, die seit acht Jahren einem Völkermord durch das Kyjiwer Régime ausgesetzt seien“, zitierte RT DE den russischen Präsidenten. Für den Vorwurf des Völkermords allerdings gibt es keine Belege. Ebenso wurde bei RT DE regelmäßig behauptet, Russland greife keine Städte oder Zivilisten an – zahlreiche Berichte unabhängiger Quellen zeugen hingegen vom Gegenteil. Bereits seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 verbreiten russische Staatsmedien systematisch eine Falschdarstellung, um das militärische Eingreifen Russlands zu rechtfertigen: nämlich dass Nazis in der Ukraine die Russischsprachigen bedrohten. So diene auch diese Intervention der „Entnazifizierung“ der Ukraine, berichtete RT DE, womit der Sender ein weiteres Kreml-Narrativ wiederholt.
Am 2. März verbot die EU die Verbreitung der Inhalte der russischen Auslandsmedien RT und Sputnik, da sie laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „Propaganda und Desinformation“ über den russischen Angriff auf die Ukraine verbreiteten. RT DE weigerte sich zunächst, dieses Verbot umzusetzen. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg setzte deshalb nach eigenen Angaben ein Zwangsgeld von 25.000 Euro fest. Das Fernsehprogramm als Livestream wurde mittlerweile eingestellt. Für die Webseite wurden jedoch drei verschiedene URL eingerichtet, sodass sie weiter zugänglich ist. Der zuletzt stark gewachsene Telegram-Kanal sowie alle weiteren Social-Media-Kanäle von RT DE wurden gesperrt. ssp
Vielen Fans des Bloggers Boris Reitschuster gefällt nicht, was er seit Ende Februar schreibt. Auf den Kanälen des ehemaligen Russland-Korrespondenten nämlich kann von Putin-Verharmlosung oder der Legende von der Einkreisung Russlands durch die Nato, wie sie von vielen „alternativen“ Medienkanälen verbreitet wird, keine Rede sein. Reitschuster verurteilt die „Kriegstreiberei“ von Putins Russland, schreibt, nichts rechtfertige „einen blutigen Angriffskrieg“ oder bezeichnet die Kreml-Behauptung, die ukrainische Regierung sei eine „durch einen Putsch an die Macht gekommene faschistische Junta“ als „Propaganda“. In seiner Wochenmail erklärt er, warum die russische Propaganda so erfolgreich sei: „weil so zynisch gelogen wird von Moskau und seinen Sprachrohren, weil die Lüge so gigantisch ist, dass sie für jemanden, der kein Russisch kann, kaum zu durchschauen ist – selbst für diejenigen, die durchschaut haben, wie viel Propaganda unsere Medien betreiben“.
Reitschuster war die Pandemie lang nicht müde geworden, mit Suggestivfragen und Halbwahrheiten Misstrauen gegenüber Medien, Politik und Entscheidungsträgerinnen zu schüren. Entsprechend liest sich nun das Unverständnis für seine Putin-kritische Haltung. „Langsam wird’s peinlich“, kommentiert ein Twitter-Follower, „Ich weiß ja nicht ob er hier eine neue Eintrittskarte für die Bundespressekonferenz lösen will“, schreibt Bodo Schiffmann auf Telegram. In zwei Wochen verlor Reitschuster auf Telegram über 15.000 Abonnenten.
Hier zeigt sich, dass das Corona-Narrativ die Bündnisse zwischen den politischen Lagern zwar nicht nachhaltig sichern konnte. Aber Reitschuster wagt einen Spagat. „Der Krieg ist die Fortsetzung der Pandemie“, kommentiert Nutzer BoriS auf Telegram – und macht aus einer angeblich gesteuerten Pandemie einen angeblich inszenierten Krieg. Trotz klarer Haltung zum Krieg gegen die Ukraine wird auch auf reitschuster.de versucht, das Corona-Maßnahmen-Bashing mit dem Kriegsthema zu versöhnen. „Berliner Senat: Flüchtlinge aus der Ukraine schnell gegen Corona impfen. Befremdende Auswüchse des Impfwahnsinns“, heißt es in einer Überschrift und in einer anderen wird der wachsende Hass auf Russen für das passende Corona-Narrativ instrumentalisiert: „Droht jetzt neue Hetze – gegen Russen statt Ungeimpfte?“ Genauso bleibt Raum für radikal antiwestliche oder rechtspopulistische Ressentiments – so spricht Reitschuster im März mit dem rechtsoffenen ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen genauso wie mit Linken-Politiker Diether Dehm, der erzählt, wie Putin sich zum Angriffskrieg habe „provozieren lassen“. svo
Auch in sogenannten „alternativen“ Medien ist der Angriffskrieg von Putins Russland auf die Ukraine ein beherrschendes Thema. In unserer März-Ausgabe widmen wir uns darum intensiv der Darstellung und Kommentierung des Krieges in der Ukraine in den Gegenmedien und ordnen die Behauptungen und Argumente ein.
Es ist der mindestens indirekte Aufruf zum Widerstand. Immer wieder in den vergangenen Tagen verbreitete Querdenken-711, der Telegram-Kanal am Stammsitz der Bewegung mit aktuell rund 55.000 Abonnenten, Reklame für Demonstrationen zum „Freedom Day“, beispielsweise in Stuttgart und in Dresden. Initiator Michael Ballweg wiederholt sein Dogma: „Die Bevölkerung entscheidet, wann die Pandemie vorbei ist.“ Zugleich werden die Anhängerinnen der Bewegung aufgefordert, sich auch juristisch zu wehren – etwa in Auseinandersetzungen um den Genesenenstatus oder um Polizeieinsätze bei „Querdenker“-Protesten. Ballweg erklärt, es sei das „Ziel erreicht“, die „dezentrale Demonstrationsbewegung hat sich verselbstständigt“. Im Umkehrschluss heißt das: Wie die Anhänger der Querdenken-Bewegung die von ihnen verlangte Gegenwehr konkret umsetzen, ist der Kontrolle von ihm und seinen Mitstreitern längst entzogen.
Im Querdenken-Umfeld populär ist beispielsweise die Website www.20–03-freedom.day, auf der, ohne Impressum und ohne Hinweis auf die Urheber, appelliert wird, nach dem 20. März „gemeinschaftlich keine Corona-Maßnahmen mehr zu akzeptieren“– weder Kontaktbeschränkungen noch Maskenpflicht, Impf- oder Testnachweise. Und fast täglich lässt sich im Telegram-Kanal der rechtsextremen „Freien Sachsen“ (fast 148.000 Abonnenten) nachlesen, wie unverhohlen Gewalt angekündigt wird. In Kommentaren dort heißt es, es dürfe „erst nachgelassen werden, wenn SÄMTLICHE Terrormaßnahmen gefallen sind“ und „ALLE, die das Terrorregime stützten und ermöglichten, vor Gericht stehen“. Mit Blick auf Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD), gegen die mit einem Fackelmarsch vor ihrem Wohnhaus demonstriert wurde, schreibt ein Anhänger der „Freien Sachsen“: „Die TOTESSTRAFE UND NICHTS ANDERES FÜR DIE ROTE BRUT.“
Doch die Protestbereitschaft ist nicht auf die extreme Rechte beschränkt. Laut einer repräsentativen Studie des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) erklärten 4,3 Prozent aller Befragten, sie seien bereit, auch an illegalen Aktionen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen teilzunehmen. Der Aussage „Die Zeit des friedlichen Widerstandes gegen die Maßnahmen ist vorbei“ stimmten 13,7 Prozent eher bzw. vollkommen zu. m.m.
Die Verbindung ist bereits seit längerer Zeit dokumentiert. Viele, die derzeit Verschwörungsmythen über das Coronavirus verbreiten oder gleich dessen Existenz leugnen, haben sich 2014 in der sogenannten „Mahnwachenbewegung“ engagiert. Dies hat zum Beispiel Tagesspiegel-Journalist Sebastian Leber bereits in dem Buch „Fehlender Mindestabstand“ analysiert. Der Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen gehörte zu diesen Kreisen, in denen beispielsweise die Annexion der Krim als „Notwehr“ bezeichnet wurde und in denen von „Kriegshetze gegen Russland“ die Rede ist. Nun schließt sich dieser Kreis – bei den NachDenkSeiten. Dort nimmt Autor Tobias Riegel am 23. Februar, nach der völkerrechtswidrigen Anerkennung der und russischen Invasion in die – zunächst – sogenannten „Volksrepubliken“ der Ostukraine das Stichwort „Notwehr“ auf. Er schreibt in einem Kommentar: „Ich interpretiere den Schritt (die Anerkennung der sogenannten „Volksrepubliken“ durch Moskau, Anm. d. Red.) auch als Akt der Notwehr durch Russland (…)“. Derweil richte sich „der Einfluss der USA auf die Ukraine“, so Riegel, „gegen den Weltfrieden und europäische Interessen“.
Eine Woche zuvor hatte sich derselbe Riegel mit der Corona-Politik in Deutschland befasst und verlangte bereits im Titel, „die Corona-Geister müssten von den Bürgern vertrieben werden – Andere werden es nicht tun“. Er forderte zur „Gegenwehr“ gegen den „Hygienestaat“ auf. Die Bürger müssten „das endgültige und vollkommene Ende der Pandemie-Politik einfordern und eine Wiederholung ausschließen“. Dass Riegel wenig davon hält, sich von Verschwörungstheoretikern zu distanzieren, hatte er 2014 in einem Beitrag für das Neue Deutschland deutlich gemacht: „Man sollte selbst Ken Jebsen zugestehen, dass er mit seiner Unterschrift die linken Losungen des Friedenswinters akzeptiert“, schrieb Riegel dort. Und: „Wirksamer Widerstand kommt ohne sonderbare Bettgenossen nicht aus.“ Auf den „verdienten Mitbegründer der ‚Nachdenkseiten‘, Albrecht Müller“ und die von ihm angeprangerten „‘Diffamierungen und Spaltungsversuche‘ gegen die Friedensbewegung“ nahm der regelmäßige Autor des Portals damals positiv Bezug. m.m.
Bis fast zum Ende des Februars standen die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen weltweit im Fokus der Berichterstattung von RT DE. Dabei werden die Protestierenden als Kämpfer für die Freiheit glorifiziert, die sich gegen einen als ungerecht und autoritär empfundenen Staat zur Wehr setzen. „‘Wir werden standhaft bleiben‘ – Kanadische Demonstranten wollen sich von Notstandsgesetz nicht einschüchtern lassen“, titelte RT DE zum Beispiel zu einem Video über die „Freiheitskonvoi“ genannten Proteste kanadischer Lkw-Fahrer gegen die Impfpflicht, wie sie bei Grenzübertritten in die USA und nach Kanada gilt und allgemeine Coronaregeln. Die Autorin Dagmar Henn kommentierte dieses Thema so: „Menschen, die im Glauben, sich in einem demokratischen Staat zu befinden, einen friedlichen Protest beginnen, sehen sich plötzlich behandelt wie Geächtete, ohne jede Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung.“ Die rigorose Reaktion der kanadischen Regierung kritisiert sie hingegen als „mittelalterliches Rechtsinstrument“ mit dem Zweck „die Proteste zu brechen“.
Ein ähnliches Video zeigt die Corona-Proteste in Österreich: „Hupende Österreicher kopieren Kanada: ‚Das schlimmste Virus ist blinder Gehorsam‘“ – so der Titel, der die Aufschrift auf der Fahne eines Demonstranten zitiert. Hier zeigt sich ein Muster: Die RT-Redakteure setzen zugespitzte, verunglimpfende Bezeichnungen etwa für die Corona-Maßnahmen möglichst schon in den Titel der Beiträge, wie etwa in einem Text über den Aufruf eines kanadischen Offiziers gegen die Corona-Maßnahmen – oder wie es im Titel heißt: gegen die „‚Corona-Tyrannei‘“. So sind Klicks sicher und die Leser werden schon beim Einstieg auf die gewünschte Spur gebracht.
RT DE ruft zwar nicht direkt zum Widerstand auf, aber befördert diesen durch die positive Berichterstattung über die Proteste. Außerdem solidarisiert sich RT DE mit den Protestierenden, indem es ihre Bewertungen wie „Corona-Tyrannei“ unkritisch übernimmt. Auch in eigener Sache probt der russische Auslandssender den Widerstand. Denn die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten (ZAK) untersagte am 1. Februar die Verbreitung des TV-Programms, weil keine Sendelizenz in Deutschland beantragt wurde – sondern in Serbien. Gegen das Sendeverbot geht die RT DE Productions GmbH nun beim Verwaltungsgericht Berlin vor. Derweil sendete RT DE trotz Verbot weiter, über Livestream und Satellit. Ende Februar dann wurde bekannt, dass die EU im Kontext des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine plant, RT DE zu verbieten. ssp
Das seit Dezember 2021 vom Verfassungsschutz als „gesichert“ rechtsextremistisch eingestufte Monatsheft Compact – Magazin für Souveränität bezeichnet sich selbst als „Licht in der Finsternis“. Das Magazin präsentiert sich mit dem Slogan „Mut zur Wahrheit“, den auch die AfD verwendet – im Februar nun wirbt Compact auf diese Weise auch um finanzielle Unterstützung. Gegen eine zahlende Mitgliedschaft im 2022 gegründeten „Compact-Club“ erhebt die Redaktion Sympathisantinnen ideell zu patriotischen Widerstandskämpferinnen gegen „den ungeheuren Druck des Regimes“: „Im neuen Compact-Club wächst das geheime Deutschland: Wir sind die Gemeinschaft der Freien, der Standhaften. Seien Sie dabei, gemeinsam verhindern wir die Impfpflicht und holen uns unser Land zurück.“
Ein wiederkehrendes Thema sind die sogenannten (Montags-)„Spaziergänge“, also Demonstrationen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung. Autor Lars Poelz lobt ansteigende Teilnehmerzahlen als „neue Rekorde“. Jene, die Anfang Februar in Thüringen demonstrierten, bezeichnet er als „Streiter für Freiheit und Demokratie“ und „Speerspitze des Protests”. Was unerwähnt bleibt: Im Rahmen eben dieser Proteste kommt es immer wieder zu Verstößen gegen das Versammlungsrecht oder Angriffen auf Polizisten.
Compact berichtet aber nicht nur, das Magazin mobilisiert auch selbst. Für Ende Februar zum Beispiel hat Chefredakteur Jürgen Elsässer gemeinsam mit anderen rechtsextremen Akteuren wie den „Freien Sachsen” in einem in den sozialen Medien vielfach geteilten Video zum sogenannten „Impf-Streik“ aufgerufen. Dabei wird nicht nur zu „Spaziergängen“ vor Kliniken mobilisiert, sondern auch das Gesundheitspersonal zum Schulterschluss mit den Protestierenden aufgefordert.
Im Februar macht auch Martin Sellner, Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreichs, die Proteste zum Thema seiner monatlichen Compact-Kolumne „Sellners Revolution“. Unter dem Titel „Spaziergang als Waffe“ beschreibt er die Radikalisierung der Proteste als einen „neue(n) Stil“, der ihm gefalle. „Anders als die offen autoritäre DDR lässt sich die totalitäre Version á la BRD nicht allein durch Demos brechen”, schreibt Sellner und fantasiert ganz unverhohlen von einem Umsturz: „Es braucht daher bereits jetzt einen Plan für den zweiten Schritt. Was tun die Spaziergänger, wenn sie die Straße erobert haben?“ KW
Nicht erst seit den Corona-Protesten beanspruchen systemoppositionelle Milieus ein Widerstandsrecht. Indem demokratische Institutionen zum Unrechtssystem erklärt werden, wird hieraus ein Widerstandsrecht abgeleitet – nicht zuletzt mit Verweis auf das Grundgesetzt....
Bei dieser Zeitung ist der Name Programm: Demokratischer Widerstand. Die Leserschaft wird aufgerufen, ihren Widerstand auf Demonstrationen zu zeigen. Auf einer ganzen Seite sind bundesweite Termine aufgelistet. Die Herausgeber berufen sich auf das Grundgesetz, das als eine Art Leitschrift der Zeitung präsentiert wird. Die ersten 20 Artikel sind in jeder Ausgabe auf der letzten Seite aufgeführt. Der Artikel 20 Absatz 4. ist hervorgehoben: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Die Herausgeber der Zeitung sind der Ansicht, dass die Regierung mit den Corona-Maßnahmen die Verfassung breche und deshalb Widerstand Pflicht sei. Die Corona-Proteste werden mit großen Lettern und Fotos auf der Titelseite gewürdigt. Die Ausgabe von Anfang Februar zum Beispiel titelt zu einer Blockade von Lkw-Fahrern in Kanada: „Siegeszug der Freiheit. Kanadische LKW-Fahrer stoßen Revolution an.“
Die Ukraine und Russland sind in der darauffolgenden Ausgabe Thema. Rainer Rupp, ehemaliger Spion der Stasi, kritisiert die „US-geführte(n) Nato“, die angeblich Russland bedrohe. Folgerichtig begrüßt die Zeitung auch den Protest gegen eine angebliche Nato-Aggression, welche in direkten Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen gestellt wird: „Deutsche und russische Demokraten demonstrieren Seite an Seite gegen Corona-Diktatur und Kriegstreiberei“, heißt es auf der Titelseite, „Wir wollen: Frieden, Freiheit, Дружба (Freundschaft)!“ Dazu wird eine Karte von 1945 gezeigt, die die Truppenbewegungen der Roten Armee abbildet. „Millionen Deutsche würden die Russen heute als Befreier begrüßen“, heißt es in der Bildunterschrift, womit offensichtlich die Befreiung von der „Corona-Diktatur“ gemeint ist. Bei ihrer idealisierten Darstellung von Russland lassen die Herausgeber allerdings außer Acht, dass es sich um einen autoritären Staat handelt, in dem Meinungs- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt sind.
Am 21. Februar erkannte Russland die beiden „Volksrepubliken“ in der Ostukraine als unabhängig an. Drei Tage später begann die russische Invasion in der Ukraine, ein völkerrechtlich verbotener Angriffskrieg, der die territoriale Integrität des Nachbarlandes weiter zerstörte. Die Russen als Befreier zu bezeichnen, als Russland mehr als 150.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren ließ, ist mehr als zynisch und zeugt von der absoluten Unkenntnis der Realität in Osteuropa. ssp
Auch wenn derzeit der Angriffskrieg Wladimir Putins auf die Ukraine alles andere überschattet, wollen wir Ihnen das Februar-Monitoring zum Thema „Widerstand als Pflicht“ nicht vorenthalten – es entstand vor der dem russischen Überfall. In unserer kommenden März-Ausgabe werden wir uns darum intensiv mit der Darstellung und Kommentierung des Krieges in der Ukraine in den Gegenmedien widmen.
Rechtsextremismusforscher David Begrich über die Coronaproteste in ostdeutschen Städten, das Nachwirken einer rechten Jugendkultur und was die Demonstrationen von denen im Westen Deutschlands unterscheidet. Das Interview führte Sonja Vogel
Offensichtlich wollte RT DE mithilfe einer serbische Lizenz das in Deutschland geltende Gebot der Staatsferne umgehen. Aussicht auf eine Lizenz in Deutschland hat RT DE kaum. Denn anders als beim...
Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann forscht zu Demokratie und Digitalisierung. Im Interview spricht sie über den Messangerdienst Telegram, die Entwicklung des digitalen Raums hin zu geschlossenen Öffentlichkeiten – und wie man dieser problematischen Tendenz begegnen kann
„Lügenpresse“-Rufe vor dem ZDF-Hauptstadtstudio und dem SWR-Funkhaus in Stuttgart, Plakate gegen die sogenannte „Systempresse“ oder Bedrohungen von Medienschaffenden bei Protesten und Aufmärschen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie: Die Feindseligkeit gegenüber etablierten Medien und ihren Vertreterinnen ist sehr präsent.
Der österreichische Online-Kanal Auf1 bezeichnet sich als „der erste wirklich zu 100% unabhängige und alternative TV-Sender“ im deutschsprachigen Raum. Hinter ihm steht laut eigenen Angaben der „Verein für basisgetragene und unabhängige Medienvielfalt”. Mehr über das Selbstverständnis des Senders erfährt man im Beitrag „Gekaufte Medien: Unser größtes Übel“ von Elsa Mittmannsgruber: „Wir befinden uns im Krieg, genauer gesagt im Informationskrieg“, heißt es dort. Dieser Krieg umschließe alle Lebensbereiche und könne „Welten vernichten“, konstatiert Mittmannsgruber. Die Chefredakteurin der rechten österreichischen Zeitung Wochenblick hat mit „Aufrecht“ ihr eigenes Auf1-Sendeformat.
In diesem Krieg stünden „unabhängige Medien“ wie Auf1 einer „Übermacht“ der „abhängigen, vom System gekauften Medien“ – oder „System-Medien“, wie es in anderen Beiträgen heißt – gegenüber. Dahinter, so die Logik dieser Erzählung von unabhängigen „alternativen“ versus als käuflich dargestellten „Mainstreammedien“, steckten Eigentümerstrukturen, die eine „Gleichschaltung“ von Meldungen ermöglichen. Im Januar mobilisierte Auf1 regelmäßig gegen die angeblich befangene Berichterstattung der „Mainstream-Medien“. So warnt der Beitrag „Corona-Fakten: Impfnebenwirkungen lassen sich nicht länger verschweigen“ vor Informationen „der regimetreuen Systempresse“, welche Impfstoffe gegen das Coronavirus als sicher auswiesen – aber dies sei eine „wirklichkeitsfremde Behauptung“.
Ein weiteres Thema waren Coronaproteste und Gegenproteste in Deutschland. So warnt der Beitrag „Linker Terror: Maßnahmenkritiker im Visier der Antifa“ vor einem „moralische(n) Absturz Linksterror-blinder Politiker und Journalisten“. Diesen wird eine aktive und gewaltevozierende Einflussnahme auf Anti-Querdenker-Proteste unterstellt und indirekt auch ein Bündnis von Journalisten und Linken. Im Beitrag heißt es: „Aufgehetzt werden solche linken Gewaltmobs durch Politik und Mainstream-Medien, die Menschen, die Angst oder andere berechtigte Gründe vor einer Coronaimpfung haben, als rechte Querdenker oder Nazis diffamieren.“ KW
Der Demokratische Widerstand ist das Organ der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ und erscheint wöchentlich. Im Impressum bezeichnet es sich als „Stimme der parteiunabhängigen liberalen Opposition und der kritischen Intelligenz in der Bundesrepublik Deutschland auf Basis des Grundgesetzes“. Die Publikation sieht sich als Aufklärer über das „Lügengebäude des totalitären Corona-Regimes“ und ruft zum Widerstand auf. Herausgeber sind u.a. Autor Anselm Lenz und Dramaturg Hendrik Sodenkamp, beide waren 2020 an den „Hygienedemos“ vor der Volksbühne beteiligt und werden im Impressum als Chefredakteure und Vorstand des hinter der Zeitung stehenden Vereins „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ angegeben. Der Demokratische Widerstand ist in mehr als 70 Ausgaben erschienen und gibt an, eine Auflage von durchschnittlich über 200.000 Exemplare zu haben – überprüft werden kann diese Angabe nicht. Das Blatt erscheint auf der Webseite und wird bei Corona-Protesten verteilt.
Die „Systempresse“ ist eines der zentralen Feindbilder, das vom Demokratischen Widerstand verbreitet wird. Den etablierten Medien wird zum Beispiel unterstellt, die Bevölkerung zu täuschen, um damit den Interessen der Regierung und einer Wirtschaftselite zu dienen. Die Medien erscheinen als korrupte Befehlsempfänger – so eine sich wiederholende Darstellung.
In der Ausgabe Anfang Dezember schreibt Hermann Ploppa: „Und wenn wir gerade fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass in den Medien weltweit ausschließlich die offizielle Erzählung über Corona und der (sic) Unausweichlichkeit der Zwangsimpfungen rauf und runtergebetet wird, dann finden wir die Erklärung darin, dass der derzeit zweitreichste Mann der Welt, Bill Gates, insgesamt 319 Millionen Dollar über seine Stiftung an Multiplikatoren (u.a., Red.) in den Medien (…) gespendet hat.“ Die Medien sollten in die öffentliche Hand übergehen, fordert der Autor und schlussfolgert: „Anderenfalls sind die Medien ein wehrloses Opfer der neofeudalen Oligarchen – Pressefreiheit nach Gutsherrenart eben.“
In einem Beitrag über die angeblich „alarmierende Todesrate“ bei dem Biontech/Pfizer-Vakzin kritisiert Markus Fiedler, dass Studien, die dies belegten, von den „Leitmedien“ verschwiegen würden. Auch hier werden „opulente Geldzuwendungen“ der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung als Erklärung angeboten und damit das Narrativ korrupter Medien unterstützt. ssp
Im Telegramkanal Qlobal-Change sind Narrative, die eine unabhängige Presse in Frage stellen, weit verbreitet. Mit mehr als 140.000 Abonnenten ist Qlobal-Change der größte nicht-englischsprachige Kanal der QAnon-Gemeinde, die sich um in den USA verbreitete Verschwörungsmythen sammelt. Ein wesentlicher Erzählstrang ist darum der behauptete Wahlbetrug bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2020. Hier, so heißt es in Posts, spiele die sogenannte „Systempresse“ eine „manipulative“ Rolle – u.a. bevorzuge sie den derzeitigen US-Präsidenten Joe Biden gegenüber seinem Vorgänger Donald Trump. So heißt es in einem Beitrag: „In den Systemmedien und im Internet gibt es auch zehn Monate nach seinem Auszug aus dem Weißen Haus noch immer eine Flut von Rufmord-Propaganda gegen DONALD TRUMP.“
In diesem Zusammenhang der angeblichen Parteinahme spricht Qlobal-Change auch regelmäßig vom „‚System Biden‘“, was ein Bündnis aus Politik und Presse suggeriert. Auch auf anderer Ebene wird etablierten Medien Befangenheit unterstellt. In einem Repost der Telegram-Gruppe Volksentscheid MF etwa berichtet ein Autor, der sich mit „euer Micha“ vorstellt, von seiner Recherche über den ehemaligen Thomson-Reuters-Manager James C. Smith. Diese habe ergeben, dass Smith sowohl Aufsichtsrat des Impfstoff-Herstellers Pfizer als auch Chef des Medienunternehmens Thomson Reuters war – eine unter Verschwörungsgläubigen im Januar kursierende Nachricht, die häufig auf die Behauptung einer lukrativen Verbindung von Medien und wirtschaftlichen Interessen insbesondere während der Corona-Pandemie heruntergebrochen wird. Im Repost auf Qlobal-Change wird diese Behauptung aufgenommen und größeren Medien und Nachrichtendiensten die Verbreitung von Unwahrheiten unterstellt. Dort heißt es: „Einmal mehr, wurden die Mainstream Medien der Lüge überführt und zwar, der vorsätzlichen Lüge.“ Die journalistische Arbeit wird so als Auftragsarbeit dargestellt. Hinter den Bemühungen der etablierten Medien, Fakten zu prüfen und Fake News zu benennen, steht laut Verfasser Micha „massive Propaganda“, die betrieben werde, „um Personen, sowie Personengruppen zu schützen“. KW
Die Leitmedien sind in den Händen einiger Konzerne und liegen auf Regierungslinie – das ist das Narrativ, das RT DE zu dem so genannten Mainstream der Medien verbreitet. Die Folge: Um die Pressefreiheit sei es „gar nicht gut“ bestellt, wird beispielsweise im Untertitel eines Kommentars von Dagmar Henn, einst Stadträtin der Linken in München, geurteilt. In Deutschland sei die „Pressefreiheit inzwischen auf die von fünf Konzernen geschrumpft“, schreibt die Autorin. In der Schweiz sei die Situation nicht besser, wie Henn am Beispiel des Ringier-Verlags zeigen will: Der Vorstandsvorsitzende Marc Walder sehe die Medien in der Pflicht, die Verlautbarungen der Regierung nicht nur wiederzugeben, sondern aktiv zu unterstützen – und das „noch beim gröbsten Unfug“, schreibt Henn.
Die mit dem Rundfunkbeitrag finanzierten öffentlich-rechtlichen „GEZ-Medien“, wie es bei RT DE heißt, werden besonders scharf kritisiert. Die Öffentlich-Rechtlichen erzeugten den „Hass gegen Impfpflichtgegner und Maßnahmenkritiker (…) aktiv“ mit, schreibt Gert-Ewen Ungar. „Die GEZ-Medien haben viel zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen, indem sie zu einer die Kritiker abwertenden, diffamierenden Sprache griffen und jede Auseinandersetzung mit deren Argumenten im öffentlichen Raum verweigerten. So züchtet man Subkulturen.“ Der „deutsche Mainstream“ wolle nicht mehr informieren, sondern die Gesellschaft „erziehen“ und „auf Linie bringen“, lautet eine weit verbreitete Behauptung, die sich auch häufig bei RT DE findet. Vom Mainstream abweichende Meinungen und „alternative“ Medien würden hingegen diskriminiert. Autor Ungar sieht auch den Sender RT DE als Opfer dieser angeblichen Diskriminierung. Und tatsächlich präsentiert RT DE insbesondere russische Positionen als so etwas wie eine bedrohte Minderheitenmeinung. So behauptet Autor Leo Ensel vor dem Hintergrund einer angeblichen Krise der Debattenkultur: „Wer es auch nur wagt, für einen Moment die Perspektive der russischen Seite einzunehmen und zu erläutern, gilt postwendend als Spion oder Verräter, bestenfalls als naiv!“ ssp
„Unabhängige News und Infos“ verspricht der Schweizer Nachrichten-Blog Uncut-News. Rund 35 Telegram-Posts gibt es dazu pro Tag, meist führen sie auf die Website – und von dort oft weiter auf andere Quellen. Themen sind angebliche Falschinformationen zu Corona und Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Dazu gehören Clickbaits wie „10 Dinge, die uns die Mainstream-Medien über COVID-19 hätten sagen sollen, aber verschwiegen haben“. Die Titel sind oft aufwiegelnd wie „Reiner Fuellmich und 50 Anwälte: (…) ‚Die Impfstoffe sind zum Töten gedacht‘“.
Zwar hat Uncut-News.ch „Das Original“ auf Telegram lediglich 74.200 Abonnenten, gehört aber nach Erkenntnissen des gemeinnützigen „Center für Monitoring, Analyse und Strategie“ zu den am häufigsten geteilten „alternativen“ Medien auf Telegram. Dies mag auch an der Inszenierung als Quelle „unmanipulierter“ Informationen liegen. Im Gegensatz dazu werden die etablierten Medien als käuflich abgekanzelt: Sie würden von „Big Pharma, Investmentbanken und zahlreichen Geheimdiensten finanziert“, heißt es in einem übernommenen Blog-Beitrag des in Moskau sitzenden Autors Edward Slavsquat; der Publizist Omar Khan schreibt in einem Meinungsstück, das ursprünglich auf TrialSiteNews erschien, Journalisten seien kein Schutzwall gegen „willkürliche Propaganda“ mehr, „da die Medien von ihren Auftraggebern finanziert“ würden.
Zu all dem gibt es einen verschwörungsideologischen Unterbau. Immer wieder geht es um Massenpsychologie. Die Behauptung: Die Bevölkerung werde trickreich ruhiggestellt. In einer Übersetzung auf Uncut-News erklärt der US-Impfforscher Robert Malone, heute Symbolfigur der Impfkritiker, wie man mit „Edellügen“ auf die Menschen einwirke: „Diejenigen, die durch diesen Prozess hypnotisiert wurden, sind nicht in der Lage, die Lügen und Falschdarstellungen zu erkennen, mit denen sie täglich bombardiert werden“.
Dabei nimmt Uncut-News es mit den journalistischen Regeln selbst nicht besonders genau. Auf der Website fehlen mal Autorennamen, dann wieder sind Quellen kaum nachvollziehbar, ein Impressum fehlt ganz. svo
Wenn sich Qualitätsmedien wie Produkte bei Amazon bewerten ließen, die NachDenkSeiten würden pauschal für alle lediglich einen von fünf Sternen vergeben. In den Texten auf dem Webportal fehlt jedes Lob für kluge, spektakuläre, investigative Recherchen sowohl der öffentlich-rechtlichen Medien wie auch der etablierten Tageszeitungen und Magazine. Stattdessen ist die Rede von „Mainstream-Presse“, von „Propaganda-Sendungen“, einer bedrückenden „Selbstgleichschaltung unserer Medien“, „Prinzipienlosigkeit als Leitlinie“. Und Tagesschau und Tagesthemen würden „besonders üble Tendenzberichterstattung“ liefern.
So behauptete NachDenkSeiten-Herausgeber Albrecht Müller zum Beispiel Mitte Januar: „Nahezu alle Medien, die im Privatbesitz befindlichen wie auch die öffentlich-rechtlichen Medien, haben ihre wichtige Funktion als kritische Begleiter des Geschehens aufgegeben. Das ist eine wirkliche Gefahr für die demokratische Verfassung.“ Presse und Rundfunk seien „kritikunfähige, angepasste Lautsprecher des gängigen Denkens ohne Tiefgang, ohne eigene Meinung“. Begründet wird die harsche Kritik auf dem Portal aktuell vor allem mit der Corona-Berichterstattung der etablierten Medien. Sie sei manipulierend und dramatisiere die vom Virus ausgehenden Gefahren, dem Virologen Christian Drosten werde Raum gegeben für seine „‚Fake-Fakten‘“, heißt es zum Beispiel in einem Text von Stefan Tasler. Außenpolitisch – etwa, wenn es um das Verhältnis zu Russland geht – bezichtigen die NachDenkSeiten „transatlantische Redakteure“, in ihren Texten „Hetzpropaganda“ zu übernehmen. Der Begriff „Lügenpresse“ fällt nicht wörtlich. Aber indirekt pflegen die NachDenkSeiten das Narrativ und untergraben damit gezielt das Vertrauen in die deutsche Medienlandschaft. m.m.
„Lügenpresse!“ – dieser Vorwurf an etablierte Medien erlebt durch die Proteste und Aufmärsche im Zusammenhang mit den Corona-Schutzmaßnahmen einen Aufschwung. Über den Hintergrund eines politischen Kampfbergriffs
Wie arbeiten Journalisten? Was dürfen sie – und was nicht? Diese Fragen begegnen uns, wenn es darum geht, Medien, Medienbeiträge und ihre Verfasser einschätzen zu können. Eine staatliche Aufsicht würde dem Grundsatz der freien Presse widersprechen. Aber ganz ohne Regeln kommt seriöser Journalismus nicht aus.
Boris Reitschuster ist bekannt für seine einseitigen Berichte von der Bundespressekonferenz (BPK). Der Blogger nutze die BPK „als Bühne für Verschwörungsmythen und Fake News“, schrieb die Süddeutsche Zeitung dazu. Im Dezember stellte der Verein BPK fest, Reitschuster erfülle die Voraussetzungen einer Mitgliedschaft nicht mehr – wegen des Firmensitzes außerhalb Deutschlands. Reitschuster legte Widerspruch ein und bleibt darum bis auf weiteres Mitglied. „Beginnt jetzt die ‚Säuberung‘“, fragte Reitschuster darauf auf Telegram und mutmaßte, er und seine Leserschaft sollten „mundtot“ gemacht werden.
Der ehemalige Moskau-Korrespondent des Magazins Focus ist heute Blogger und eine wichtige Quelle für Querdenker, Impfskeptikerinnen und Verschwörungsideologen. Während der Pandemie stieg seine Reichweite rasant. Reitschuster übt sich im Schulterschluss auch mit Kritikern der Corona-Maßnahmen anderer politischer Lager. So preist der Linken-Politiker Diether Dehm im Interview mit reitschuster.de ein „Volksfrontbündnis gegen das Monopolkapital, den Biontech-Clan, die NATO“ – und zeichnet so das Bild einer verschworenen Minderheit, die gegen die Interessen der Bevölkerung herrsche. Dies entspricht ganz dem Grundton des Blogs. Dort wird auch die neue Regierung als antidemokratisch dargestellt. Was das „‚eigentliche Projekt‘“ des Gesundheitsministers sei, fragt Reitschuster etwa in einer Überschrift und fährt mit dem Zitat einer namenlosen Person fort, die meine: „Wenn man die Maßnahmen der Regierung analysiere, bekomme man den Eindruck, es gehe weniger um die Bekämpfung von Corona, als vielmehr um einen Umbau der Gesellschaft und ein Abwickeln der Demokratie hin zu einem autoritären öko-sozialistischen Überwachungs- und Erziehungsstaat nach chinesischem Vorbild“.
Die Rede von einer vorgeblichen Zensur genauso wie die Diskreditierung der Politik als antidemokratisch trägt zur Stimmung gegen „die da oben“ bei, wie sie auch auf radikalisierten Corona-Demos zu beobachten ist – mitsamt Drohungen gegen Politiker und Angriffen auf Journalistinnen. Es hat darüber hinaus etwas Aufwieglerisches, wenn etwa Bodo Neumann in einem Gastbeitrag behauptet, Deutschland betreibe die „Spaltung in eine erschöpfte, verunsicherte Mehrheit und eine Widerstand leistende Minderheit“ als „politisches Mittel“. Denn welchen Schluss soll die Leserschaft daraus ziehen, als selbst die Seite des Widerstands zu wählen? svo
Der Kampf gegen die Institutionen, das Misstrauen gegen die Regierung, Behörden, Polizei und auch die Wissenschaft gehört für Querdenken zum Standardprogramm. In ihrer jüngsten Rundmail gab die Bewegung vom Stammsitz Stuttgart aus Anleitungen zur Organisation sogenannter „Spaziergänge“ – also in der Regel nicht angemeldeter und damit illegaler Versammlungen. „Kurzfristig veränderte“ Termine soll es geben, „gemeinsames Singen“ vor Kirchen, auch in Partnerbörsen für Demonstrationen geworben werden. Wichtigster Kanal mit 58.000 Abonnenten bleibt für „Querdenken-711“ der Messaging-Dienst Telegram. Dort und auch in anderen sozialen Medien wird vielfältig gepostet und Inhalt aus anderen Kanälen geteilt: Hass gegen den „autoritären kapitalistischen Staat“, der Amok laufe, dem „die Kontrolle entgleitet“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder etwa wird dort zum „Hassprediger“ erklärt, der eine „Hetzjagd auf ungeimpfte Menschen eröffnet“, die Polizei mit der Stasi verglichen. Wobei auffällt: Anleihen für die Argumentation werden bewusst immer wieder auch im linken Spektrum genommen – etwa bei der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. Zentrales Feindbild in der Ampelkoalition ist der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
Wichtig für die Einordnung der Szene: „Die selbsternannte Querdenken-Bewegung verliert an Bedeutung gegenüber rechtsradikalen Mobilisierungen“, wie der Forscher Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena beobachtet hat. Deutlich sichtbar sei dies beispielsweise an der rechtsextremen Gruppierung „Freie Sachsen“, die auf Telegram inzwischen 121.000 Abonnenten hat. Hier wird weit deutlicher noch gegen eine vermeintliche „Corona-Diktatur“ ausgeteilt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wird zum „Despoten“ erklärt, die Bundespolizei zu „Truppen der Berliner Zentralregierung“. Es ist eine gefährliche Verschiebung zu gewaltbereiten Akteuren.
Auch Bodo Schiffmann als wichtige Figur der Szene teilt auf seinem Kanal Alles Ausser Mainstream viele rechtsextreme Inhalte. Und beflügelt den Kampf gegen eine Polizei, die Corona-Proteste auflöst: „Sie exekutieren die Order des Systems. Sie prügeln, quälen, erfassen, erniedrigen und verfolgen friedfertige Menschen.“ m.m.
Im Sommer 2020 berichtete der Spiegel, Eva Herman und Lebensgefährte Andreas Popp errichteten in Kanada eine Kolonie mit hunderten Rechtsextremen. Seither ist es in den etablierten Medien eher still um die ehemalige Nachrichtensprecherin geworden. Eva Herman Offiziell aber zählt mit rund 190.000 Abos zu den reichweitenstärksten der „alternativen“ Medien auf Telegram.
Der Output auf Telegram ist riesig. Durchschnittlich über 100 Beiträge pro Tag, meist Reposts anderer Medien – darunter „alternative“ Medien wie RT DE, Auf1, Reitschuster.de oder radikal rechte wie Junge Freiheit.
Das Narrativ „die da oben“ ist vor allem in beängstigenden Verschwörungserzählungen von angeblich herbeigeführter Krisen wie etwa der „Operation Sunrise“ präsent – diese, so führte Andreas Popp bei Eva Herman Offiziell bereits im November aus, habe das Ziel Chaos in der Gesellschaft zu verbreiten. Hermans Partner Popp ist u.a. Autor von Büchern wie „Das Matrix Syndrom: Die systematische Manipulation der Menschen durch die ‚Macht‘“. Mit ihm spricht Herman u.a. den mehrmals die Woche erscheinenden Podcast „Stabil durch den Wandel“.
Vor dem Hintergrund einer möglichen Regulierung von Telegram orakelte Popp in einer Audio-„Eilmeldung“, „dass wir ganz deutlich Kenntnisse haben aus oberster Ebene der ‚System-Politik‘ – sag‘ ich mal ganz vorsichtig –, dass da eben etwas geplant ist“. Im Kontext der Digitalisierung insbesondere von Gesundheitsdaten spricht Popp von einem „Krieg gegen die Menschen durch eine selbsternannte Elite“.
Durch den Podcast zieht sich ein geradezu apokalyptisches Weltbild, zum Beispiel in vielen Berichten zu angeblich drohenden Versorgungsengpässen. Dazu passen die vielen Produktempfehlungen – vom „komplett ausgestattete(n) Fluchtrucksack“ bis zu selbst gebastelten Teelicht-Öfen für alle Fälle. Dies knüpft nahtlos an inhaltliche Beiträge zu angeblichen Verschwörungen und drohenden Krisen an. Die Lehre daraus? Traut „denen da oben“ nicht und wappnet euch selbst. svo
Nachdem das Compact-Magazin im März 2020 vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft und fortan beobachtet wurde, erfolgte im Dezember 2021 die Einstufung als erwiesen rechtsextremistisch. Es ist Teil der Compact-Magazin GmbH, die auch thematische Sonderausgaben herausgibt und neben der Sendung Compact TV über einen Webauftritt mit Youtube-Kanal verfügt. Das Magazin Compact erscheint monatlich – nach eigenen Angaben – in einer Auflage von 40.000 Exemplaren. Geschäftsführer und Chefredakteur ist Jürgen Elsässer. Er gilt als zentraler Akteur der neurechten Szene.
Inhaltlich bedient Compact völkisch-nationale Erzählungen. So wird die neue Regierung als eine der „Deutschlandabschaffer“ bezeichnet, die direkt an die alte anknüpfe, indem sie „Überfremdung” und „Migrantenkriminalität“ gutheiße. Viele Texte stützen die Argumente von Impfgegnern und warnen vor einem angeblichen „Impfzwang“ und der „Coronadiktatur” – hinter beidem stünden die Regierungsparteien, die immer wieder als „das Régime“ bezeichnet werden.
In der Dezember-Ausgabe ist die Erzählung von „denen da oben“ sehr präsent – dabei wird auch auf antisemitische Verschwörungsmythen zurückgegriffen.
Autor Sven Eggers mutmaßt, hinter der neuen Regierung steckten noch andere Kräfte: „Hinter den Kulissen haben NGOs die Fäden in der Hand“. Und weiter: Die parteinahen Stiftungen Heinrich-Böll sowie Rosa-Luxemburg und die Organisation „Seebrücke“ „hecken aus, was die Ampel am Ende als für die Zivilgesellschaft notwendige und angeblich konsensfähige Politik verkaufen wird”. Aus der Regierung treten die Grünen als neue Feindbilder hervor, insbesondere Annalena Baerbock – mit dem Zusatz „die verhinderte neue Merkel“ wird die Ministerin in direkte Kontinuität mit der vorherigen Hassfigur gestellt. Durch den Klimacheck, so Eggers weiter, „wäre die neue Schaltzentrale ihrer Partei quasi ein Superministerium, das jedwede Gesetzesentwürfe per Veto ausbremsen könnte“. Der Plan sei, ‚Klima‘ bald zum „neue(n) Corona“ zu machen – und damit gibt uns Compact bereits einen Vorgeschmack auf zukünftige Debatten. KW
Die Onlineplattform Apolut, ein neues Projekt aus dem Umfeld von Ken Jebsen, ist eine Überraschung. War bei dem Onlineportal KenFM fast jedes Video mit Ken Jebsen, ist der vor allem unter Verschwörungsgläubigen bekannte Publizist nun kaum mehr zu sehen – sehr präsent ist er dagegen im eingebundenen KenFM-Archiv, kenfm.de leitet auf apolut.net weiter. Jebsen sei „als Berater für das neue Angebot im Hintergrund aktiv“, berichtete der Tagesspiegel. Die Vorgeschichte: Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hatte ein Verfahren gegen KenFM wegen Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht eingeleitet – dies wurde eingestellt, weil das Angebot nicht mehr existiert. KenFM wird u.a. laut Süddeutscher Zeitung vom Berliner Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt.
„Die da oben“ ist ein zentrales Thema bei Apolut, das einer bestimmten Argumentation folgt: 1. Zwischen Bevölkerung und Regierung gibt es einen unüberwindlichen Gegensatz, denn die Macht der Herrschenden sei nicht demokratisch begründet und damit illegitim. 2. Die Herrschenden setzten die Menschen zahlreichen Gefahren aus, dies erfordere ihren Widerstand.
In einem aus dem Magazin Rubikon übernommenen Artikel etwa schreibt unter dem Titel „Impf oder stirb!“ die Autorin Susan Bonath: „Das imperialistische Corona-Régime stellt uns vor die Wahl – entweder die Spritze oder Existenzvernichtung.“ Sie stilisiert die Ungeimpften zu Opfern: „Die herrschende Klasse hat uns zu Sündenböcken für fast alle Übel der Welt erklärt.“ Dass die Pandemie-Bekämpfung nur ein Vorwand sei, um ein autoritäres Régime zu errichten, wird häufig behauptet. Rainer Rupp, ehemaliger Agent der Stasi, etwa schreibt auf Apolut: Die Methoden, mit denen die „aktuelle in Deutschland herrschende Klasse ihre Untertanen verängstigt“, seien „nicht weniger totalitär und diktatorisch als jene, die wir aus den Anfangsjahren des totalitären Dritten Reiches kennen“.
Einige Autoren werben für den Widerstand. Die Corona-Maßnahmen seien „saubere Folter“ mit der „die Herrschenden“ „blutige Volksaufstände provozieren“, so der Autor Hermann Ploppa, der unter anderem auch für Rubikon schreibt. Er fordert in einem Kommentar: „Ganz einfach: es müssen sich alle Friedensbewegten, ob nun geimpft oder nicht geimpft, mit Maske oder ohne Maske, endlich wieder zusammentun, um die nackte Existenz gegen den Zugriff der irren Kriegstreiber zu schützen.“ ssp
Die Masche ist die Mixtur – faktenbasierte Informationen, oft von den internationalen Nachrichtenagenturen, doch immer nur gewollt selektiv. Auf hohe Klickzahlen zielende „Meldungen“ wie zum Beispiel: „Ein Grizzlybär macht einen Bauchklatscher in ein Schwimmbad“. Dazu kommen nicht selten Verschwörungsideologien.
Nach diesem Muster verfährt das der religiösen Falun-Gong-Bewegung nahestehende Medium Epoch Times, etwa der Journalist Kevin Roose 2020 in seiner Analyse der englischsprachigen Epoch Times-Ausgabe in der New York Times herausgefunden hat. Er nennt als ein Beispiel die in mehreren Artikeln aufgestellte Behauptung, dass Bill Gates und andere Eliten die Covid-19-Pandemie steuern würden, zugleich befeuert wird immer wieder das Narrativ der „jüdischen Weltverschwörung“.
Auch wenn sich die inhaltlichen Schwerpunkte in der deutschen Ausgabe unterscheiden, ist die Masche doch ähnlich. Ein aggressives Marketing der Epoch Times ist in Deutschland wie in den USA zu beobachten: Die deutsche Website der Epoch Times erscheint seit Ende 2004, seit Juli 2021 gibt es auch wieder eine wöchentliche deutsche Printausgabe. Stark verbreitet wird der deutsche Ableger vor allem über Facebook (667.000 Likes).
Zur Stimmung gegen „die da oben“ trägt die Epoch Times regelmäßig bei, zuletzt im Dezember etwa in einem Interview mit dem Bielefelder Professor Martin Schwab. Er zweifelt an, dass es vor dem Bundesverfassungsgericht ein „faires Verfahren“ zur Bundesnotbremse gegeben habe. Schwab wird als „Rechtsexperte“ vorgestellt. Dass er für die Corona-Verharmloser-Partei „Die Basis“ auf der Landesliste zur Bundestagswahl 2021 stand, wird allerdings nicht erwähnt.
Auch im Bericht zu einem Corona-Protest in Rostock darf ein Demonstrant ohne jede Einordnung die Existenz einer vermeintlichen Corona-Diktatur behaupten: „Die Maßnahmen (...) haben nichts mehr mit Corona zu tun, sondern es geht einfach darum, die Bevölkerung zu unterdrücken.“ m.m.
Der Buchautor und Rechtsextremismusexperte Andreas Speit spricht über Kritik an den Corona-Maßnahmen, die wachsende Radikalisierung der Szene und den antimodernen Reflex, der sie eint. Das Interview führte Matthias Meisner.
Berichte über die Radikalisierung der Corona-Proteste häufen sich seit Wochen. Radikale Positionen von Impfgegnerschaft, Elitenfeindschaft oder Verschwörungserzählung wirken unter anderem über „alternative“ Medien in die Mitte der Gesellschaft. Die da oben ist eine wiederkehrende Erzählung – in den Medien wie auch bei den Protesten.
In Deutschland gibt es die größte nicht-englischsprachige QAnon-Gemeinde, die sich um in den USA verbreitete Verschwörungsmythen sammelt. Die Telegram-Gruppe Qlobal-Change ist mit knapp 150.000 Abonnenten der größte QAnon-Kanal. Auch weitere Kanäle stehen dem QAnon-Narrativ nahe. So etwa der Telegram-Kanal Fakten Frieden Freiheit (gut 110.000 Abonnentinnen). Beide Gruppen veröffentlichen täglich ideologisch stark eingefärbte eigene Videos und Podcasts.
Das prominenteste Thema beider Kanäle ist die Corona-Politik der westlichen Länder. In vielen Beiträgen wird die Existenz des Virus abgestritten, häufig geraten einzelne Virologen und Politikerinnen ins Visier der Posts. Beispielsweise wird der britische Virologe Neil Ferguson in einem Beitrag als „Schande“ und als „Lügner“ bezeichnet, wenn er vor der Gefährlichkeit des Virus’ warnt. In einer Meldung wird dem ehemaligen britischen Gesundheitsminister Matt Hancock und dem Parlamentsabgeordneten Luke Evans ein „Genozid“ an älteren Menschen vorgeworfen – die beiden hätten veranlasst, dass während des ersten Lockdowns in Großbritannien hospitalisierten Covid-Erkrankten, die später verstarben, mit Midazolam ein Arzneistoff verabreicht worden sei, der für ihren Tod verantwortlich wäre. In anderen Meldungen wird vor einem angeblichen „Impfzwang“ als Teil eines globalen „Great Reset“ gewarnt. Zudem wird regelmäßig an rechte Diskurse angeknüpft – etwa wenn auf Qlobal-Change der Freispruch Kyle Rittenhouse’ ein Sieg gegen eine „linke(n) Vormacht“ genannt wird. Rittenhouse hatte 2020 auf einem Black-Lives-Matter-Protest in den USA zwei Demonstrierende erschossen und gilt seither als Galionsfigur der extremen Rechten. KW
Womöglich hatte der ehemalige SPD-Politiker Albrecht Müller ein Projekt vorbildlicher Gegenöffentlichkeit im Sinn, als er 2003 die NachDenkSeiten startete. Er ist nach wie vor Herausgeber. Das Portal hat sich auf den ersten Blick ein journalistisches Profil gegeben. Kern des Blogs: werktägliche „Hinweise des Tages“, eine Art Pressespiegel mit pointierten Kurzkommentaren. Doch Müllers Allianzen sind recht eindeutig. Er sucht die Nähe zu Verschwörungsideologen wie dem nach Antisemitismusvorwürfen gefeuerten rbb-Moderator Ken Jebsen oder Linkssektierern wie dem langjährigen Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm. Müller und die beiden geben sich immer wieder wechselseitig ein Podium. „Weg vom linkssozialdemokratischen Mainstream, hin zum wahnsinnigen Rand“, kommentierte 2015 die taz. Viele Beiträge auf den NachDenkSeiten werben für ein besseres Verhältnis mit Russland. Müller meint zum Beispiel, ohne (den russischen Propagandasender) RT DE „wären wir noch schlechter informiert“. Über China heißt es in einem Gastbeitrag, das Land müsse sich, „was die Menschenrechte als auch was Demokratie anbelangt, nicht hinter dem Westen verstecken“. Herausragendes Thema aktuell ist die Corona-Politik. Mit Kritik an einer angeblichen „Tyrannei der Panikmacher“ der Behauptung von „Hass“ der „öffentlich-rechtlichen Propagandamaschinerie“ gegen Ungeimpfte oder Kritik an einer „bürger- und demokratieverachtenden Politik“ der Bundesregierung befinden sich die NachDenkSeiten hier auf „Querdenker“-Niveau. m.m.
Wie bei vielen „alternativen“ Medien auch steht bei reitschuster.de eine Person im Vordergrund: Boris Reitschuster. Der ehemalige Moskau-Korrespondent des Magazins Focus ist heute Blogger und eine wichtige Quelle für Querdenker, Impfskeptikerinnen und Verschwörungsideologen. Während der Pandemie stieg die Reichweite seiner Kanäle rasant: eine Viertel Millionen Abos auf Telegram, über 300.000 auf Youtube. Nach Sperrungen wegen Falschinformationen zu Corona veröffentlicht er außerdem auf Rumble – „im zensurfreien Internet“, so Reitschuster.
Das Hauptthema ist auch hier die Pandemie, die – angezweifelte – Wirksamkeit von Impfungen und die Kritik an Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, vor allem an jenen, die Ungeimpfte betreffen. In einem Wochenbriefing schreibt Reitschuster von einer „aktiv von Medien und Politik betriebene(n) Hetze“ und folgert in einem anderen: „Wir werden in einen mentalen Bürgerkrieg getrieben“. Oft sind es einzelne, aufpeitschende Vokabeln und Überschriften, die den Ton der Texte machen. Wenn zum Beispiel Christian Drosten zum „Staatsvirologe(n)“ wird, zahlt reitschuster.de einmal mehr auf das Konto einer angeblichen politischen Kontrolle von Wissenschaft und Medien ein.
Ähnlich funktionieren auch emotionale Geschichten von vermeintlichen Impfopfern. Ein reißerischer Titel etwa lautet „15-jähriges Mädchen nach Impfung gestorben“. Zwar wird schon in der Unterüberschrift klar, dass die Todesursache „unbekannt“ sei. Für hunderte Telegram-Kommentatorinnen aber stehen die Ursachen bereits fest: Impfung und Corona-Politik. Hier zeigt sich ein Muster: Die Texte verschweigen Fakten oft nicht, doch sie verzerren sie extrem. Bei solchermaßen irreführenden Überschriften und Spekulationen fällt dies aber kaum ins Gewicht. svo
So genannte „alternative“ Medien sind für einen relevanten Teil der deutschen Bevölkerung zu einer wichtigen oder sogar zur maßgeblichen Informationsquelle geworden. Das zeigen die Reichweiten dieser Medienkanäle, aber auch ihre Mobilisierungskraft für die Corona-Proteste ab 2020. Welche Medien zählen zu den „alternativen“ und warum? Was lässt sie zur Radikalisierungsmaschine werden?
Immer mehr Menschen nutzen „alternative“ Medien als Informationsquelle. In den vergangenen Jahren und vor allem im Schlepptau der Corona-Demonstrationen gewannen Kanäle jenseits der etablierten Medienlandschaft eine immer größere Reichweite. Diese Medien wirken weit in die Gesellschaft und schüren das Misstrauen gegen die parlamentarische Demokratie, gegen Wissenschaft und etablierte Medien.
„Wir zeigen den fehlenden Teil zum Gesamtbild. Also genau jenen Part, der sonst verschwiegen oder weggeschnitten wird.“ – Mit diesem Anspruch betrat der russische Auslandssender RT 2014 den deutschen Medienmarkt, zunächst mit einem Online-Portal. Russlands weltweite Medienoffensive war eine Antwort auf den Krieg in der Ukraine. RT DE verbreitete die Version der angeblichen Machtergreifung von „Faschisten“ – als Rechtfertigung für Russlands Annexion der Krim. RT sieht sich selbst als eine „Informationswaffe“, wie Chefredakteurin Margarita Simonjan sagte. Ihre Strategie: eine alternative Gegenöffentlichkeit zu schaffen und die „Kämpfer gegen das System“ als Ressource „im nächsten Informationskrieg“ zu nutzen.
Die Berichterstattung zeigt, dass diese Strategie erfolgreich ist. Erst die Flüchtlingskrise, dann der Brexit, aktuell die Corona-Krise: RT DE nutzt die Unzufriedenheit der Menschen und steigert so seine Nutzerzahlen. Rechte Kreise und Pegida-Aktivistinnen, EU-Skeptiker und Kritikerinnen der Corona-Maßnahmen finden bei RT DE eine publizistische Bühne. RT DE steigerte sein Auditorium auf 1,4 Millionen Nutzer im September 2021 und präsentiert sich als „führende alternative Nachrichtenquelle“. Der Verfassungsschutz warnte jedoch vor der Desinformation, die RT DE zu Corona verbreitet.
Auch im November konzentriert sich RT DE auf die Krisen: Flüchtlinge im polnisch-belarussischen Grenzgebiet und die Corona-Pandemie. Die Beiträge kritisieren das harte Vorgehen Polens gegen die Flüchtlinge und sehen ein Versagen der EU-Asylpolitik. Zu Corona verbreitet RT DE, dass die Impfung mit westlichen Vakzinen angeblich schwere Nebenwirkungen und zahlreiche Todesfälle verursachen. RT DE solidarisiert sich mit den „Ungeimpften“ und schürt die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik, während in Russland eine Impflicht für manche Berufsgruppen längst existiert. ssp
Die Querdenken-Bewegung in ihrem Stammland Baden-Württemberg speist sich stark aus dem anthroposophischen Milieu und aus der Alternativ-Szene – das haben die Baseler Soziologen Nadine Frei und Oliver Nachtwey im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung erhoben. Die Wissenschaftler beobachten eine wachsende Radikalisierung der bürgerlichen Mitte durch die Querdenken-Bewegung, mit klaren Verbindungen zur extremen Rechten und der Bereitschaft zur Gewalt. „Grüne wegen Wählerschwund genervt“, kommentierte etwa Querdenken (711 – Stuttgart) aus der Heimatstadt von Gründer Michael Ballweg, „das übliche Bashing“.
Auf dem Telegram-Kanal der Gruppe, mit rund 58.000 Abonnentinnen ihrem wichtigsten Medium, ist im November bemerkenswert, worum es nicht geht: die Ausschreitungen bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen in den Niederlanden und in Belgien etwa. Kaum thematisiert werden auch die zurückhaltende Impfbereitschaft der Deutschen und extrem steigende Inzidenzen. Stattdessen übt sich Querdenken in Selbstverteidigung und feiert eine angebliche internationale Vernetzung von Wien über Zagreb bis Melbourne und São Paulo. Und legt einen Rechenschaftsbericht über die Demonstrationen 2020 vor, die gut eine Million Euro gekostet hätten.
Der Mediziner und Verschwörungsideologe Bodo Schiffmann, eine wichtige Figur in der Coronaleugner-Szene, warnt auf seinem Telegram-Kanal Alles Ausser Mainstream mit 154.000 Abonnenten vor einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. „Die Menschen sterben an den Impfungen“, sagt er in einem Video. Und: Deutschlands „totalitäre Regierung“ vollführe „einen Staatsstreich“. m.m.
Auf1 ist ein österreichischer Online-TV-Sender, der seine Unabhängigkeit betont. Er sendet täglich in verschiedenen Videoformaten im deutschsprachigen Raum. Am 31. März 2021 ging Auf1.tv online und hat sich seitdem zu einem bekannten Medium unter Verschwörungsgläubigen entwickelt. Neben der Internetseite verfügt Auf1 über eine Telegram-Gruppe mit mehr als 150.000 Abonnentinnen. Betreiber und Chefredakteur des Senders ist der Österreicher Stefan Magnet. Bis 2007 war er ein führendes Mitglied der rechtsextremen Vereinigung „Bund Freier Jugend“ und steht heute der FPÖ nah. Auf1 findet man unter der gleichen Geschäftsadresse wie Info-Direkt, ein rechtes, pro-russisches Verschwörungs-Magazin, und Wochenblick, ein Online-Medium der Medien24 GmbH, das sich seit Anfang 2021 sehr intensiv und mit einer anti-grünen Spitze dem deutschen Wahlkampf widmete.
Thematisch bespielt Auf1 vor allem die Pandemiepolitik. Der Sender mobilisiert gegen einen sogenannten „Impfzwang“. Wiederholt werden die Covid-Impfungen als „sinnlos“ dargestellt oder sogar als „Mord“. Hierzu werden sogenannte Experten befragt, die zum Beispiel angeblich „tödliche Nebenwirkungen“ einzelner Wirkstoffe und den angeblichen Experimentalcharakter aller Impfstoffe hervorheben. In der Berichterstattung wird häufig auf rechte und verschwörungstheoretische Narrative zurückgegriffen. In einem Bericht über den Zustand der Landwirtschaft etwa heißt es: „Die Globalisten wollen alle Aspekte unseres Lebens kontrollieren und international gleichschalten.“ Diese Entwicklung wird in einen Zusammenhang mit dem „Great Reset“ gestellt, einer verbreiteten Verschwörungserzählung vom angeblichen Plan einer wirtschaftlichen Neugestaltung durch die Covid-Pandemie. KW
Die Behauptung, ein komplexes System arbeite im Interesse einiger Weniger gegen die Mehrheit der Bevölkerung Die Rede von „dem System“ taucht in vielen so genannten „Alternativmedien“ auf. Mit dem Begriff,...
Von der Überzeugung Widerstand leisten zu müssen, da alle anderen Mittel ausgeschöpft seien Die Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind in den vergangenen Monaten zunehmend radikaler geworden: von...